14.11.10

Die Geschichte der Kunstgeschichte und die allgemeine Geschichte

(zuerst veröffentlicht in: Hans-Joachim Goertz (Hg.): Geschichte. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg, (rde 55576) 32007, 496-506.)

Kunstgeschichtsschreibung gab es ansatzweise bereits in der Antike; Plinius schildert (Naturalis Historia, Buch 35) die Abfolge der Künstler von Apollodorus bis Apelles als eine Geschichte des Fortschritts im Studium der Natur. Dies Modell wurde im 14. Jahrhundert von den Florentinern aufgegriffen und auf die Maler ihrer Zeit übertragen, im Rahmen der Erneuerung der rhetorischen Gattung des Städtelobs: Als Höhepunkt galt nun die Kunst Giottos. Giorgio Vasari erweiterte dieses Modell in seinen für die Künstlergeschichte maßgeblichen 'Vite de' più eccelenti pitori, scultori ed architetti italiani', 1550 und 1568. In seiner Nachfolge blieben die meisten Kunstgeschichten bis zum 18. Jahrhundert Künstlergeschichten, geschrieben von Künstlern und Kunstliebhabern (Karel van Mander, Joachim v. Sandrart, Giovanni Bellori).
            Unabhängig davon entstand die Archäologie. Hauptziel war die Erforschung der antiken 'Denkmäler', zuerst der Münzen und Inschriften. Dann begann man planvoll auszugraben. Antikensammlungen wurden mit System zu Studienzwecken angelegt. Die Kontroversen der Reformationszeit führten im Rahmen der Kirchengeschichte zu einer Ausdehnung der Forschung auf frühchristliche Monumente (Kard. Baronius u.a.), u.a. der Katakomben.
            Das 17./18. entwickelte die historischen Hilfswissenschaften, dabei auch die für die Kunstwissenschaft wichtigen Methoden der Stilkritik und Ikonographie (Mabillon, Montfaucon und andere Mauriner). Der Abbé Lebeuf begründete die architektonische Formenkritik und -geschichte. Die Aufklärung verstand die fürstlichen Kunstsammlungen als 'école publique' und setzte die allmähliche Öffnung für breitere Kreise durch. Die Ausweitung der archäologischen Forschung im 18. Jahrhundert auf Griechenland und das gesamte Mittelmeergebiet legte eine Neuformulierung der antiken Kunstgeschichte nahe. Sie wurde geleistet durch Winckelmanns "Geschichte der Kunst des Altertums" (1764). Sie ist das erste Werk mit einer rein kunsthistorischen Epocheneinteilung. Doch löst sie sich niemals ganz aus den Zusammenhängen der allgemeinen Geschichte. In der Berücksichtigung von Klima, Geographie, Ackerbau, Wirtschaft u.a. mehr ist Winckelmann auch ein Begründer der Kulturgeschichte, darin wie in vielem der französischen Aufklärung verpflichtet (Voltaire).Ein zentraler Gedanke war die Idee der Autonomie des Kunstwerks; die Kunst sei zwar durch Geschichte geprägt, aber nur wo Freiheit herrsche, könne sie wirklich zu sich kommen und Eigenständigkeit entfalten: Deshalb die Ablehnung der 'unfreien' römischen Kunst und die kultische Verherrlichung der Kunst des demokratischen, perikleischen Athen, die ihm als Norm für alle Zeiten galt.
            Der Autonomiegedanke wurde durch Goethe, Kant, Hegel, Schiller u.a. bestärkt. Eine große Rolle spielte dabei die Neufassung des Stilbegriffs als unabhängiger kunsthistorischer Kategorie. Hegel entwarf ein bipolares, universalhistorisches Konzept des Verlaufs der Kunstgeschichte jenseits der allgemeinen Geschichte, das in Metamorphosen bis ins 20. Jahrhundert immer wieder auflebte (Riegl, Wölfflin, Frankl u.a.).
            Wichtig für die Entfaltung des Faches war die Estehung neuer Berufsfelder in den Kunstmuseen (Waagen) und der Denkmalpflege (Arcisse de Caumont, Viollet-le-Duc, Schinkel, Quast). In Deutschland wandten sich einige Historiker der Kunstgeschichte zu und schufen ihr eine solidere wissenschaftliche Basis (Jakob Burckhardt, Carl Justi, Georg Dehio u.a.). Die historisch-theoretische Reflexion begann zu stagnieren und geriet z.T. unter den Einfluss des Vulgärdarwinismus. Andererseits setzte ein positivistisch-systematisches Sammeln von Fakten, Daten, Quellen ein. Die Verbesserung der Druckverfahren und die Senkung der Kosten ermöglichten die Entstehung illustrierter Zeitschriften und führten zur Entstehung einer reichen Kunstliteratur. Ende des 19. Jahrhunderts stellten Fotografie und Diapositiv die Beschäftigung mit der Kunst auf eine neue Basis.
            Kunstgeschichtsschreibung war und ist indirekt abhängig von den Veränderungen in Kunst und Architektur selbst. So bewertete man z.B. in Folge der Romantik die Gotik neu Die neuen Kunstrichtungen seit 1830-1840 öffneten die Augen für die Werte des 18. Jahrhunderts (Adolph Menzel, Brüder Goncourt) und die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts (Rembrandtforschungen Eduard Koloffs, Entdeckung Vermeers durch Théophile Thoré-Bürger). Mit der Wende zur modernen Kunst bestanden auch die Kunsthistoriker stärker auf der Autonomie des Kunstwerks, wandten sich verstärkt Formfragen zu. Der Expressionismus förderte die Wertschätzung bis dahin vergessener Künstler (El Greco, Grünewald) und Themen (spätmittelalterliche Andachtsbilder). Der Surrealismus der 20er Jahre weckte Interesse für Hieronymus Bosch und die Manieristen.
            Ideen, wie die von der Autonomie der Kunst und einer von der allgemeinen Geschichte unabhängigen Kunstgeschichte erscheinen jedoch zunehmend fragwürdig, ebenso die Epochen-Begrifflichkeit und ihr latenter Biologismus (z.B. 'Früh-, Hoch- und Spätrenaissance'). Es wächst zudem die Einsicht, dass die Kunst nicht ohne ihr historisches Umfeld verstanden werden kann.
            Andererseits sind inzwischen diese Epochenbegriffe auch in der populären Geschichtsschreibung fast selbstverständlich. Alternativen zeichnen sich nicht ab, zumal 'Kunst' und Kunst-Begriffe historisch relativ sind: Während Kunst und Architektur des Mittelalters so eng an die Geschichte gebunden sind, dass man besser mit historisch zu begründenden Zäsuren bei den Periodisierungen der Kunstgeschichte der Länder, Regionen, Territorien und Städte arbeitet, verstärkt sich seit dem 15. Jahrhundert mit der Entfaltung der bildnerischen Mittel die Eigenständigkeit kunsthistorischer Prozesse, ohne aber jemals von den historischen Bedingungen frei zu werden. Dies ist nicht einmal seit dem Einsetzen der Moderne (d.h. seit der Mitte des 18. Jahrhunderts) der Fall. In den Künsten wirkte sich der Zerfall des religiösen, politischen und wissenschaftlichen Weltbildes besonders stark aus: Zwar vermag man 'Gruppenstile' zu benennen (z.B. Romantik oder Surrealismus), doch bestimmen sie niemals eine Zeit als ganze; außerdem kehren sie in Verwandlungen die ganze Moderne über wieder. Andererseits lassen sich führende Künstler nur selten einem Gruppenstil oder nur einer Richtung zuweisen. Die Bau- und Ausstattungskünste werden mehr oder weniger durch das Geschichtsverständnis des Historismus geprägt und bedienen sich der Stile der Vergangenheit, die sie kategorisiert und als Bedeutungsträger verwendet. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts gaben sich zwar betont historismusfeindlich, wurden aber selbst durch den Neo-Historismus der Postmoderne in Frage gestellt bzw. als Spielart des Historismus erkannt.

Der (mögliche) Beitrag der Kunstgeschichte zur allgemeinen Geschichtsschreibung
            Es gehörte zu den seit Urzeiten weit über Europa hinaus geltenden Regeln fürstlichen Verhaltens, sich Ruhm und Andenken durch Stiftung von Bauten und Kunstwerken zu erwerben. Auch die kirchliche Memoria ist fast immer mit Bau- und Kunststiftungen verbunden. Dabei galten die Bauten großer Herrscher der Vergangenheit als Vorbild, selbst wenn man kaum etwas von ihnen wusste, wie von dem Tempel Salomons, den viele mit dem islamischen Felsendom des 7. Jahrhunderts verwechselten. Größtes Ansehen hatten die Bauten in Rom (Triumphbögen und -säulen, Pantheon, die frühchristlichen Kirchen, vor allem der Neubau von St. Peter und seine Ausstattung); ebenso die in Byzanz (Hagia Sophia, Apostelkirche, Hagios Sergios und Bakchos). Die Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen fasste Älteres zu einem neuen Typ zusammen und bildete selbst ein neues Vorbild für das Abendland.
             Ebenso war die Kathedrale für ihre Diözese Muster (mater et matrix) und Bezugspunkt, auf die durch Architekturzitate, meist signifikante Einzelmotive, verwiesen wurde. Ähnliches gilt für die Mutterkirche eines Ordens und für den Palast des Landesfürsten in dessen Territorium. Neue Dynastien bzw. Herrscher bemühten sich um ein eigenes Profil durch die Schaffung eigens konzipierter Neubauten bzw. eines eigenen Stils. Über die architektonische Zeichensprache wurde also Gefolgschaft oder auch Verweigerung dargestellt, das Streben nach Legitimität oder nach Innovation ausgedrückt.
            Die Architektur spiegelt nur selten unmittelbar die Verhältnisse, sondern ist ein zeichenhaft operierendes Repräsentationssystem mit wechselnden Bezugsrahmen, aber den gleichen antiken Ausgangsnormen, d.h. den anthropomorphen und hierarchischen Vorstellungen der Säulenordnungslehre sowie der Rangabstufung der Bauaufgaben und Formen (das Residenzschloss als höchste Stufe, dann Landschlösser, Adelspalais, Rathäuser, Bürgerhäuser; im kirchlichen Bereich die Abstufung von der Kathedrale zur Stifts- und Abteikirche, Stadt- und Dorfpfarrkirche. Nur selten spiegeln Bauten (wie Bilder) die realen Verhältnisse, sondern verdeutlichen eher die Ansprüche, das Selbstverständnis und die Ziele. Sie demonstrieren vor allem die Prätentionen ihrer Erbauer: So errichtete Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg das Berliner Schloss nach Vorbildern in Paris und Rom seit 1698 als Königsschloss, bevor er 1701 wirklich König von Preußen wurde. Andererseits könnte man Friedrichs des Großen Schlossbau von Sanssouci als bewusste Täuschung der Nachbarstaaten über seine eigentlichen Absichten deuten, indem er sich mit dem ‚Weinbergschlösschen' als Philosoph und Weiser darstellte, obwohl es ihm um Kriegsruhm und Erweiterung seines Machtbereichs ging.
            Nicht auf den ersten Blick einleuchtend ist die Einbeziehung der Sakralbaukunst in diesen politischen Kontext. Die Durchdringung von Sakralem und Profanem im Alten Europa ist heute nur noch schwer begreiflich. Doch galt z.B. das Amt des Kaisers als gottgegeben; der Herrscher sollte für die Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden sorgen, die Kirche schützen, die wiederum als eine Stütze des Reiches gedacht war usw. Vor dem sog. Investiturstreit des 11. Jahrhunderts zwischen Kirche und Herrschern stellten sich die führenden Kreise der Gesellschaft fast ausschließlich in geistlichen Bauten und deren Ausstattung dar. Doch war die Verbindung, ja teilweise Amalgamierung des Sakralen und des Politischen nicht stabil. Die Änderung der Verhältnisse zwischen Herrscher und Kirche lässt sich den Kunstwerken ablesen: Der Typus des ottonischen sakralisierenden Kaiserbildes wird seit dem 12. Jahrhundert nicht mehr in den liturgischen Handschriften verwendet. Das heißt jedoch keineswegs, dass spätere Herrscher die geistliche Seite ihres Selbstverständnisses abgebaut hätten: Noch im 17./18. Jahrhundert entwarf man am habsburgischen Hof eine komplexe Reichs-Theologie, wie sich an Fischer v. Erlachs Bauten der Hofbibliothek und Karlskirche in Wien ablesen lässt.
            Das Bauen ist immer mit der zeitgenössischen Technik und Wissenschaft, mit Wirtschaft und Gesellschaft verbunden. Die großen Bauvorhaben gehen einher mit Innovationen der Bautechnik und -organisation; sie förderten den Übergang von der Saisonarbeit zu ganzjähriger Arbeit durch Einrichtung von beheizbaren Bauhütten, ebenso den Wechsel von der Natural- zur Geldwirtschaft sowie genauere Rechnungsführung, Vorratshaltung und Planung. Das führte zu Arbeitsteilung und Spezialisierung, zum sozialen und intellektuellen Aufstieg der Architekten (u.a. durch Verlagerung der Entwurfstätigkeit von der Baustelle ins Atelier seit Einführung der maßstäblich verkleinerten Planzeichnung, Insistieren auf der Geometrie als 'freier' Kunst, Forderung theoretischer Studien), aber auch anderer Bauhüttenmitglieder (so des Poliers).
            Die Bildenden Künstler nahmen in den Bauhütten eine untergeordnete Stellung ein. Sie waren auch nicht so eng an die Herrschaft gebunden. Eine Ausnahme bildeten die Goldschmiede: Durch die Wertschätzung und materielle Bedeutung ihrer Kunst, durch ihre mythischen Ahnen (Wieland der Schmied, der hl. Goldschmied-Bischof Eligius v. Noyon), mehr noch durch Hofämter, wie Münzmeister und Siegelschneider, konnten einige schon früh in den Adel aufsteigen, andere wurden Unternehmer (wie die Landauer von Nürnberg); diese überragende Stellung hielten sie bis in die Zeit um 1600, in Mitteleuropa zuletzt am Hofe Kaiser Rudolfs II. Immer wieder gelang es auch Vertretern anderer Luxuskünste, den Fürsten und ihren Höfen unentbehrlich zu werden. Die meisten Bildenden Künstler blieben bis ins frühe 19. Jahrhundert dem in den Städten ansässigen Handwerk und seiner meist zünftischen Organisationsform verhaftet.
Der Aufstieg der Malerei als führende Gattung ging von Italien aus. Die Genauigkeit der Naturwiedergabe, ihre Farbenkunst, welche selbst das Goldschmiede-Email überbot, ihre Beseeltheit und emotionale Wirkung, vor allem aber die ihr zugesprochene größere Intellektualität sicherten die Führung. Schon im 14. Jahrhundert errangen Maler hohe öffentliche Ämter und begannen sogar das Bauwesen zu bestimmen. Die Stellung von Hofmalern als 'varlet de chambre' brachte aber auch mit sich, dass sie Fahnenstangen und Wappenschilder zu bemalen, fürstliche Einzüge auszustaffieren hatten oder als Theaterregisseure tätig wurden. Einige bedeutende Meister vermieden deshalb den Hofdienst und blieben städtisch, ohne jedoch höfische Aufträge, Pensionen oder Ehrentitel abzulehnen (Dürer, Tizian). Malereigeschichte ist also immer auch Sozial- und Hofgeschichte. Dieses Wechselverhältnis ist in den meisten Ländern und Zeiten noch wenig erforscht, die Internationalität der Bezugssysteme in der oft immer noch national eingeengten Kunstgeschichtsschreibung vernachlässigt.
            Nicht-Kunsthistoriker machen sich oft Illusionen, wie viele Fallstricke bei der Benutzung von Bildern als historische Quelle ausliegen. Zunächst ist festzustellen, dass seit der Antike fast stereotyp wiederholt wird, dass der Mensch über das Auge empfänglicher sei als über das Ohr. Schon deshalb waren trotz der Zurückhaltung intellektueller Kreise gegenüber dem Bildgebrauch (Bernhard v. Clairvaux, die meisten Scholastiker, die Reformer des 15. Jahrhunderts) visuelle Hilfen in der Lehre unentbehrlich; offiziell rechtfertigte man sie als 'Bibel der Armen', sprach von der 'pictura litteratura laicorum' (Malerei als Literatur der Nicht-Lateinkenner) oder der 'muta praedicatio' (stummen Predigt); in Wirklichkeit wurden jedoch die meisten Bilder von hochgebildeten geistlichen wie weltlichen Kreisen in Auftrag gegeben, d.h. zum Sinnengenuss und zur theoretisierenden Betrachtung. Doch war man gerade im Mittelalter fast immer bestrebt, sie zugleich dem einfachen Mann zur Belehrung und Freude dienen zu lassen.
            Man sprach dem Bild die Möglichkeit zu, die Welt zu erfassen und darzustellen. Die Vorstellung, mittels komplexer Bildprogramme die Weltordnung bzw. Teile von ihr darstellen zu können, gipfelte im 18. Jahrhundert in den Deckengemälden der Treppenhäuser, Bibliotheken und Festsäle.
            Bilder waren und sind zunehmend zur Lenkung der Volksmeinung wichtig. Folglich ist das Studium und die Deutung derartiger Bilder aufschlussreich für die Absichten, Strategien und Meinungen ihrer Auftraggeber. So betonten etwa posthum errichtete Stiftergräber die Legitimation von Besitzansprüchen und Rechtstiteln von Klöstern. Glasfenster- und Wandbilderzyklen stellten die Welt in der gewünschten Ordnung und Wertigkeit dar und bekämpften anderslautende Auffassungen.
            Man kann diese Werke und ihren Gehalt nur verstehen, wenn man hinter der leicht entzifferbaren ersten Ebene von Gegenstand und Erzählung auch die allegorische Bedeutung und andere Sinnschichten erkennt: Bildende Kunst arbeitete seit der Antike mit Personifikationen und einer vielfältigen Symbolik und Metaphorik. Zur Verdeutlichung einer geforderten Tugend wurde etwa ein Exempel aus der antiken oder biblischen Geschichte oder aus dem Tierreich herangezogen und mit weiteren Motiven angereichert. Der Sinn derartiger Gemälde war in seinen feineren Verästelungen nur für Gebildete zu begreifen. Inschriften halfen bei der Deutung der Aussage. Mit dem Humanismus wurden Bilder zunehmend anspruchsvoller und komplizierter; die Entstehung der gelehrten Emblemsammlungen ist ein Indiz. Die bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts stetig zunehmende Beliebtheit dieser Bild-Text-Gattung führte zur Bereicherung vieler Kunstwerke mit emblematischen Motiven und Anspielungen. Danach führte die Neuformulierung der Aufgaben der Kunst zu einem schnellen Ende dieser Symbolwelt.
            Es gab immer eine Bildkontrolle und -zensur; sie wurde zur Institution, seit Buchdruck und Druckgraphik die massenhafte Verbreitung von Bildern ermöglichten. Der tabuisierte Bereich war bei Bildern größer als in der Literatur, bis ins 20. Jahrhundert. Die teuflische oder feindliche Seite durfte, wenn sie überhaupt dargestellt wurde, nur 'richtig', d.h. negativ gezeigt werden. Erotisches war aus den öffentlich sichtbaren Bildern verbannt. Apotropäisch gemeint, wurde es nur in Randzonen geduldet, bei Wasserspeiern, Statuenkonsolen oder Misericordien der Chorgestühle.      
Die historische Dimension der Bilder besteht nicht nur aus der Erforschung ihrer Auftraggeber und Intentionen, nicht nur in der Untersuchung der Funktionen und der verschiedenen Rezeptionsweisen. Man beschränkt sich allzu oft auf die Ikonographie und die historischen Zusammenhänge und benutzt die Bilder nur als Illustration. Die historische Forschung hat sich aber auch um das Verstehen des 'Wie' zu bemühen, das man unter dem Begriff des Stil fassen kann. Stil in diesem Sinne ist nicht etwa, wie in popularisierenden Schriften üblich, nur eine Ansammlung formaler Merkmale, sondern die Summe der künstlerischen Prinzipien und Normen, welche die Gestalt bestimmen. In ihm verbindet sich Persönliches mit Allgemeinem. Stil enthält Elemente der prägenden Tradition und anderer schulbildender Kräfte. Stil reflektiert das verwendete Material wie die Tradition von Typus und Aufgabe. Stil ist immer auch bewusste Gestaltung, ist z.B. das Ergebnis der Wahl einer dem Gegenstand, dem Auftraggeber und der Funktion des Werkes angemessenen Stillage bzw. Sprachebene, bezogen auf ein einzelnes Werk und Resultat der Bemühungen einer Künstlerpersönlichkeit. Meist ist schon die Komplexität dieses Interpretationsmodells Hemmschuh bei der Untersuchung. Gerade große Kunstwerke erweisen sich als schwer zu deutende Verdichtungen; es wäre jedoch fatal, wenn man sie aus der historischen Betrachtung ausschließen würde, zumal sie gerade wegen des hohen Grades an Reflexion besonders viele Aufschlüsse über die jeweilige Weltsicht bieten.
            Will man Kunstwerke als Quelle für die Körperauffassung heranziehen, will man sie im Sinne einer historischen Anthropologie auf das implizite oder explizite wechselseitige Verhältnis von Bild und Betrachter befragen oder an ihnen religiöse Einstellungen oder überhaupt die Weltsicht , kommt man um eine Diskussion der Stilfragen und d.h. aller künstlerischen Probleme nicht herum. Das gilt in besonderem Maße für die Moderne, d.h. von dem Zeitpunkt ab, seit die Kunst sich zunehmend selbst zum Thema macht und sich nur aus dem Denken und der Empfindung des jeweiligen Künstlers im Kontext seiner Zeit verstehen lässt. Da sind dann ganz andere, auch künstlerische und kunsttheoretische Fragen zu stellen: etwa was Natur für Caspar David Friedrich bedeutete, wie er sich zur ikonographischen Tradition verhält, sich von den kompositorischen Gewohnheiten und den traditionellen rhetorisch-poetischen Elementen der Landschaftsmalerei zu lösen versuchte. Man wird dabei wichtige Einsichten gewinnen, Einsichten, wie man sie so aus kaum einer anderen Quelle gewinnen kann. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass das Kunstwerk immer einen Überschuss an Gehalt und zugleich ein Element der poetischen Unschärfe hat, so dass es sich einer strengen Begrifflichkeit versperrt und einer restlosen Deutung verschließt.
            Die Moderne kennt - nicht nur in der Historienmalerei - Bilder von hohem historischem Aussagewert (Eugène Delacroix: Die Freiheit auf den Barrikaden; Adolph Menzel: Das Eisenwalzwerk), andererseits hochspekulative oder auch nur dekorative Werke fast ohne Wirklichkeitsgehalt. Sie hat jedoch auch Gattungen hervorgebracht, die einen leichter erschließbaren Gehalt an geschichtlicher Wirklichkeit vermitteln: Die Illustration, die Karikatur, das Plakat, die Gebrauchsgraphik ganz allgemein, dann (wieder mit Einschränkungen) Foto und Film. Aber auch hier sollte man das Wie mitreflektieren, und seien es nur Technik, Vermarktungsbedingungen und dergleichen.
            Anders als in den Bildenden Künsten, auf die sich der Begriff  'Kunst' zunehmend und geradezu ausschließlich konzentrierte, ist die Bindung der Architektur an die jeweiligen historischen Verhältnisse in den letzten Jahrhunderten eher größer geworden. Da die Verbindlichkeit der antiken Säulenordnungen und aller alten Vorbilder wie Normen schwand, waren Gestalttypus und Form jedes Bauwerks letztlich jeweils neu zu begründen. Baukunst kann nicht autonom sein, sondern bleibt funktionsgebunden, den Wünschen der Auftraggeber und den jeweils geltenden allgemeinen Meinungen verpflichtet. Neue, für die jeweilige historische, ökonomische und technische Lage aufschlussreiche Bauaufgaben kamen hinzu, Bahnhof und Fabrik, Bürohaus und Kino, Museum und Ausstellungsgebäude, Tanzsaal und Café, Ladenpassage und Warenhaus. Neue Materialien wurden erschlossen, wie Eisen, Glas, Beton, Aluminium usw. Neue Techniken und Maschinen wurden eingesetzt. Der Tätigkeitsbereich der Architekten erstreckt sich nun zunehmend auch auf den bürgerlichen Wohnungsbau, dann die Arbeitersiedlung, den Industriebau, das Bauen für Landwirtschaft und Sommerfrische, aber auch auf die Denkmalpflege. Baukunst übernimmt zudem Aufgaben ganz neuer Art, so etwa örtliche oder nationale Identifikationsmöglichkeiten anzubieten, ideologische Vorstellungen von Familie, Gerechtigkeit, Sozialismus, Faschismus usw. auszudrücken oder dies wenigstens zu versuchen. Baumeister wurden und werden in ihren künstlerischen Bemühungen selbst zu Erfindern und Mitgestaltern neuer Utopien und Ideologien. Baukunst spiegelt oft aber auch die politischen und ökonomischen Krisen unserer Epoche und die Art und Weise ihrer Bewältigung oft unmittelbar wieder.
            All dies sind Aspekte, bei deren Erhellung die Architekturgeschichte wichtige Beiträge zum Verständnis der Geschichte leistet. Schon deshalb ist die Erhaltung auch von Bauten der letzten beiden Jahrhunderte, die dem Anschein nach außer Mode sind, von großer Bedeutung. Reale Bauten sind in ihren Materialien und Fertigungstechniken, in ihrer Zimmerfolge und Ausstattung eine Quelle eigener Art über ihre jeweilige Epoche und Gesellschaft, die durch nichts anderes ersetzt werden kann, auch nicht durch eine Fotodokumentation.

Weiterführende Literatur
                        Baxandall, Michael: Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1977.
            Belting, Hans und Blume, Dieter (Hg.): Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Die Argumentation der Bilder, München 1989.
            Bickendorf, Gabriele: Die Historisierung der italienischen Kunstbetrachtung im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin (Gebr. Mann) 1998.
            Busch, Werner: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993.
            Busch, Werner (Hg.): Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, München und Zürich (2. Aufl.) 1997.
            Dilly, Heinrich: Kunstgeschichte als Institution. Studien zur Geschichte einer Disziplin, Frankfurt/M. 1979.
            Ganz, Peter u.a. (Hg.): Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991 (Wolfenbütteler Forschungen 48).
            Haskell, Francis: Maler und Auftraggeber. Kunst und Gesellschaft im italienischen Barock, Köln 1996.
            Huse, Norbert und Wolters, Wolfgang: Venedig. Die Kunst der Renaissance. Architektur, Skulptur, Malerei 1460-1590, München 1995 (2. Aufl.).
            Justi, Carl: Winckelmann und seine Zeitgenossen, 2 Bde., Leipzig 1943 (4. Aufl.).
            Kimpel, Dieter und Suckale, Robert: Gotische Architektur in Frankreich 1130-1270, München 1995 (2. Aufl.).
            Krautheimer, Richard: The Rome of Alexander VII 1655-1667, Princeton 1985.
            Möbius, Friedrich und Sciurie, Helga (Hg.): Stil und Epoche. Periodisierungsfragen, Dresden 1989 (Fundus-Bücher 118/119).
            Rumohr, Carl Friedrich v.: Italienische Forschungen, hg. von Julius v. Schlosser, Frankfurt/M. 1920.
            Schlosser, Julius v.: Die Kunstliteratur, Wien 1924.
            Suckale, Robert: Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993.
            Warnke, Martin: Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1995 (2. Aufl.).
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