14.11.10


Hundert Jahre Deutscher Verein für Kunstwissenschaft. Überlegungen zur Geschichte und Zukunft (zuerst veröffentlicht in: Kunstchronik 61, 2008, 126-131.)

 

Unser Fach ist es nicht gewohnt, sich selbst und sein Tun als Teil gesamtgesellschaftlicher Bewegungen zu verstehen bzw. sich überhaupt als geschichtlich bedingt zu begreifen. Der allgemein bevorzugte Typus der Geschichtsschreibung ist die Biographie und ihre Aneinanderreihung zur Heldengalerie großer Künstler; dies gilt gleichermaßen für die Geschichte der Kunstgeschichte. Dieses unkritische Verfahren hemmt die Analyse der Strukturen des Fachs und seiner Probleme, und es hilft nicht sich neu zu orientieren. Das zeigt sich auch an der Geschichte des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, der 2008 sein 100jähriges Jubiläum feiert. Sie verdiente eine genauere wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung, die in dieser beschränkten Skizze jedoch nicht geboten werden kann.

            Über die Entstehungsumstände des Vereins ist nur wenig bekannt. Zwar war die treibende Kraft der tatkräftige Wilhelm von Bode, seit 1905 Generaldirektor der Berliner Museen und weit darüber hinaus einflussreich. Es ist jedoch falsch, hier nach Kunsthistorikerart nur das Wirken eines Einzelnen bzw. einer Gruppe von Individuen zu sehen. Der Verein konnte nur entstehen, weil ihn seine Gründer der von dem mächtigen Ministerialdirektor Althoff vertretenen Bildungs- und Wissenschaftspolitik eingliederten. Auffällig sind die Ähnlichkeiten mit dem unter Althoffs Mitwirkung ein Jahr zuvor gegründeten Werkbund, an der im übrigen einige wichtige Gründungsmitglieder des Vereins beteiligt waren, wie Karl-Ernst Osthaus und Alfred Lichtwark. Hierzu gehört auch die –ebenfalls von Bode betriebene – Berufung Bruno Pauls zur Reformierung der Berliner kunstgewerblichen Unterrichtsanstalten, eine Maßnahme, die an Bedeutung der späteren Gründung des Bauhauses gleichkommt. Dies alles wird jedoch erst richtig verständlich, wenn man den Zusammenhang mit den sog. Agitationsverbänden, wie dem 1898 gegründeten Tirpitzschen Flottenverein, erkennt, der nicht nur den Kriegsflottenbau unterstützen, sondern allgemein ‚vaterländische' Gesinnung in möglichst breite Kreise tragen sollte. Die Gründung des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft ist wie die des Werkbundes eine kulturelle Parallelaktion. Deutschland sollte nicht nur die politische, ökonomische und militärische, sondern auch die wissenschaftliche und kulturelle Vormacht in der Welt erringen. Das erklärt einige der Divergenzen in den Zielen: So war man um Modernisierung bemüht, wollte aber auch das Nationalbewusstsein stärken. Der Verein war eine Gründung von oben, aber mit dem Auftrag, eine möglichst große Zahl von Menschen zu mobilisieren. Das ließ sich auf die Dauer nicht vereinen. Im übrigen wurde der Gedanke der Volksbildung bereits von so vielen anderen Vereinen, Bünden und Publikationen vertreten, dass dieses ursprünglich für sehr wichtig erachtete Ziel bald zurücktrat und die Ausweitung und Verbesserung der kunsthistorischen Forschung wie im zuvor gegründeten Florentiner Kunsthistorischen Institut zum eigentlichen Hauptziel wurde: Mit der Bündelung der Kräfte im Verein wollte man die Führung der deutschen Forschung in der Welt ausbauen. Der erste Schritt war, die deutschen Kunstdenkmäler und ihre verkannten Qualitäten besser bekannt zu machen; dies sollte das Selbstbewusstsein der Deutschen stärken und Deutschlands Ansehen in der Welt steigern. Bekämpfen wollte man – mit den Worten Wilhelm v. Bodes - „die leidige alte Gewohnheit der Deutschen, für alles Fremde sich zu begeistern und darüber die eigene Heimat zu vernachlässigen und herunterzusetzen."

Ein anderes Ziel war, dem damals erst seit kurzem an allen deutschen Universitäten eingeführte, aber immer noch kleinen und methodisch unhomogenen Fach Kunstgeschichte seinen ‚Platz an der Sonne' neben den alten Großfächern zu sichern. Der Verein sollte mithelfen, das Fach methodisch zu festigen. Die schöngeistige, globalisierende Kathederrhetorik von Gelehrten wie Herman Grimm oder Henry Thode war zu ersetzen durch strenge Wissenschaftlichkeit, wie sie die Historiker mit ihrer auf die Edition früh- und hochmittelalterlicher Quellen spezialisierten Institution der Monumenta Germaniae Historica eingeführt hatten. Als Muster innerhalb des Faches galt die Wiener Schule und ihre Verbindung zum Institut für Österreichische Geschichtsforschung. Entsprechend groß war der Anteil der Österreicher bei der Vereinsgründung.

Der Wissenschaftsstil der Anfänge des Vereins ist geprägt durch das Vorbild der Naturwissenschaften. So schreibt z.B. Adolph Goldschmidt: „Während meiner letzten Schuljahre hatten meine Wünsche zu studieren eigentlich nur die Naturwissenschaften als Ziel im Auge, deren kühl beobachtende und analysierende Methoden zu sachlichen Resultaten führten, die ohne Schmuck und allerlei weitere berückende Aussichten dem Leser vorgeführt werden sollten. Diese kalte Methode scheint der Kunst gegenüber unangebracht, sie setzt aber keineswegs voraus, dass sie nicht verbunden sein kann mit großer Freude am Kunstwerk und Gefühl für seine Qualität." Dies Ethos macht die frühen Publikationen des Vereins zu Monumenten gewissenhafter Gelehrsamkeit, allen voran Goldschmidts Corpus der mittelalterlichen Elfenbeine. Sie waren jedoch kaum für breitere Kreise gedacht. Für diese Mitglieder hatte man die Jahresgaben, die ebenfalls von Gelehrten wie Goldschmidt und Max Jakob Friedländer gewissenhaft verfasst wurden. Zur Abrundung des Erfolgs trug bei, dass eine größere Anzahl mäzenatisch gesonnener Kunstfreunde die Finanzen auf eine solide Basis stellten. Die ersten Jahrzehnte des Vereins waren zweifellos die glanzvollsten seiner Geschichte, viele Impulse gingen von ihm aus. Zu bedauern ist nur, dass es zum Zeitpunkt seiner größten Energieentfaltung nicht zu einem Forschungsinstitut gekommen ist  – wie dem der Monumenta Germaniae Historica – oder wenigstens zu institutionalisierten Akademieprojekten. Dieses Defizit wirkt sich bis heute negativ aus.

Die frühen Publikationen des Vereins sind frei von engem Nationalismus. Doch konnten die Gründerväter nicht verhindern, dass Mitglieder einer jüngeren Generation – wie Worringer, Pinder, Gerstenberg u.a. – sich irrationalen Ideen öffneten, eine andere Ausrichtung der Kunstwissenschaft anstrebten und einige unter ihnen nationalistischen und anderen Ideologien verfielen. Auch wurde bald deutlich, dass sich der Anspruch, Zentralorgan der Kunstgeschichte Deutschlands zu werden, nicht halten ließ. In der Achterbahnfahrt der deutschen Geschichte nach 1918 wurde der Verein insgesamt heftig ramponiert. Inflation und Wirtschaftskrise zehrten das Vermögen auf. Dennoch entstanden in der Zeit der Weimarer Republik viele bedeutende Publikationen.

Dann kam im Jahr 1933 die Machtergreifung durch die NSDAP und mit ihr die Gleichschaltung. Was sich damals im Verein ereignete, ist äußerst schlecht dokumentiert. Mehr darüber zu erfahren, ist ein dringliches Desiderat der Wissenschaftsgeschichte. Die jüdischen Mitglieder wurden unerachtet ihrer Verdienste nicht nur aus dem Vorstand und Beirat des Vereins ausgeschlossen, sondern auch aus dem Verein selbst, wohl unter Befolgung des Vereinsgesetzes von Juli 1933. Der 1. Band der 1934 erstmals erschienenen ‚Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft' macht deutlich, dass sich die neue Führungsgruppe als Teil der NS-‚Bewegung' verstand. Karl Koetschau schreibt als Sprecher des Vorstands, getragen von der Aufbruchsstimmung nach der Machtergreifung: „Wir müssen endlich auch erreichen, daß das, was wir als unsere eigenste Schöpfung dem Ausland gaben, als vollwertiger Beitrag zur menschlichen Kultur die Anerkennung findet, auf die wir Anspruch haben." Zwei Werke wurden neu geplant, eine fünfbändige deutsche Kunstgeschichte, „dann ein Buch, das die Kunstdenkmäler in enge Beziehung zur deutschen Geschichte und zur Eigenart der deutschen Stämme bringen soll: Deutsche Kunstdenkmäler als Spiegel der deutschen Geschichte und der deutschen Stämme." Außerdem „will eine neue Reihe ‚Grenzlande deutscher Kunst'... zeigen, wie wir die eigene Kunst im kolonisatorischen Sinne fruchtbar gemacht haben."

Ganz im Sinne der Goebbelsschen Propaganda wurde nun auch wieder der Gedanke der Volksbildung betont: „Dem Verein muss daran gelegen sein, seine Arbeit über die wenn auch noch so umfangreichen wissenschaftlichen Aufgaben hinaus zu erweitern. Es würde die Gegenwart nicht verstehen, wenn er sich .. nicht selbst ... für die Bildung der Allgemeinheit" einsetzen wollte. Deshalb „wurde eine der Popularisierung dienende Abteilung geschaffen ... Leiter: Karl Koetschau und Alfred Stange". In der Tat führte die nazistische Mobilisierung nationaler Energien einen Aufschwung des Vereins herbei: Das führte zur Gründung der hauseigenen Zeitschrift und dem lang erstrebten ‚Schrifttum zur deutschen Kunst'. Der Verein gab sich zwar vorwiegend wissenschaftlich-objektiv, doch wurde er insgesamt durch die 12 Jahre der NS-Diktatur stärker verformt, als man später zugegeben hat. Vor allem in den ersten beiden Jahrgängen der Zeitschrift finden sich Aufsätze unverhüllt ideologischen Charakters, so von Kurt Gerstenberg, Alfred Stange, Wilhelm Wätzoldt, Hans Rose u.a..

            Betrachtet man die Zeit nach 1945, so verhielt sich der Verein wie das Fach insgesamt – er ging in Deckung. In der Zeitschrift findet man kein einziges Wort der Erklärung, keine Zeile des Bedauerns über die fatalen Folgen der Entlassung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen, aber auch vieler anderer engagierter und oppositioneller Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker. Die eigene Verstrickung in das NS-Regime wurde ignoriert, die Verbindung zu den Emigranten nicht wirklich wiederhergestellt. Richard Hamanns Vorschläge zu einer institutionellen Umorientierung und einer Verschmelzung mit dem Marburger Institut bzw. der Berliner Akademie der Wissenschaften wurden abgelehnt; die von den alliierten Mächten erzwungene Streichung des Begriffs ‚Deutsch' und die damit verbundene Umbenennung der ‚Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft' in die ‚Zeitschrift für Kunstwissenschaft' nach wenigen Jahren wieder rückgängig gemacht usw. Bestrebungen, das Forschungsfeld bis in die Gegenwart zu erweitern, fanden nur wenig Zuspruch.

Der Verein vermochte nicht mehr, seine alte Bedeutung wiederzuerlangen. Es setzte ein Schrumpfungsprozess ein, auch in bezug auf die Ziele und Aktivitäten. Man gab jegliche Bemühungen auf, breitere Schichten zu erreichen. Hatte der Verein am Ende des Weltkriegs 7500 Mitglieder, so sind es heute nur noch ein Zehntel. Die intellektuelle Lähmung, welche die deutsche Nachkriegskunstgeschichte so mittelmäßig machte, prägte auch ihn, während er sich von der Aufbruchsstimmung seit den Sechziger Jahren kaum berühren ließ. Der Verein wird in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Er ist eine Institution unter vielen anderen geworden; seine Mitgliederschaft ist überaltert, und er findet seit langem kaum noch Zuspruch bei den jüngeren Kunsthistorikern, nicht einmal beim universitären Nachwuchs.

Bezeichnenderweise feierte der Verein im Jahre 1984 das 50jährige Bestehen seiner Zeitschrift und des ‚Schrifttums zur Deutschen Kunst' ohne einen einzigen Hinweis auf das Fatale des Jahres 1934. Er feierte sich mit einer Porträtgalerie von 112 Förderern, Autoren und Kollegen, deren Auswahl fragwürdig ist. Einerseits sind zu wenige Emigranten, Frauen und Denkmalpfleger zu finden, andererseits fehlen die meisten der ‚NS-Belasteten'. Die Bildergalerie mag viele erfreuen, und das im selben Band abgedruckte Register der Vereinszeitschrift zwischen 1934 und 1983 ist gewiss nützlich. Doch verweigerte man sich damit einer Untersuchung des Geschehenen, man beschönigte es und war damit politischer als man vorgab. Das Ganze ist bezeichnend für die damals im Verein vorherrschende Mentalität.

Sein Fortbestehen in Westdeutschland verdankte er weitgehend staatlicher Alimentierung. Sparzwänge und die zunehmende Tendenz der Bundesländer, ihre kulturellen Aktivitäten auf das eigene Gebiet zu beschränken, erwiesen sich bald als Hemmnis seiner Entfaltung. Die Wiedervereinigung hat keine Wende beschert. Typisch für die Denkweise in Deutschland ist es, dass man versäumte, die Erforschung und Bekanntmachung der über ein halbes Jahrhundert den meisten Deutschen verborgenen Kunstdenkmäler der Neuen Bundesländer als gemeinsame Aufgabe zu begreifen und dauerhafter zu fördern. Entgegen der vor allem in ehemaligen Westdeutschland verbreiteten Meinung, Inventarisierungs- und Katalogisierungsarbeiten seien obsolet, ist zu betonen, dass diese Grundlagenarbeit aller Kunstgeschichtsschreibung und Analyse nicht nur im Osten, sondern fast überall erst noch zu erbringen ist.

Es ist ein Unding, dass viele hundert Millionen Euro für Rekonstruktionen zerstörter Gebäude ausgegeben werden, auf der anderen Seite aber nicht genug Mittel zur Verfügung stehen, um die Hunderttausenden von Kunstdenkmälern in Deutschland zu dokumentieren, zu erforschen und zu erhalten. Ebenso paradox ist es, dass wir zwar einen zahlreichen, gut ausgebildeten Nachwuchs haben, aber adäquate Stellen eher gestrichen als neu eingerichtet werden, obwohl es so viel zu tun gibt. Statt dessen leistet sich unser Land Heerscharen von Pressesprechern und Event-Managern.

            Die Aufgaben und Ziele, die sich der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft ursprünglich gestellt hat, haben ihre Gültigkeit nicht eingebüßt. Schon deshalb müssen wir denen danken, die den Verein durch freiwillig geleistete, unbezahlte Arbeit mühsam am Leben erhalten haben und weiter erhalten. Kann jedoch eine so kleine Institution überhaupt noch etwas bewirken? Dass es auch heute noch möglich ist, einen Verein mit vergleichbaren Zielen zu gründen und mit Erfolg zu lenken, zeigt das Beispiel der ‚Stiftung Denkmalschutz' und ihrer Zeitschrift ‚Monumente'. Ob man sie jedoch zum Vorbild wählen kann, bleibt zu diskutieren.

            Der Verein könnte das Gewicht, das ihm als Institution noch geblieben ist, zur Unterstützung der Bemühungen einsetzen, Inventarisations-, Katalogisierungs- und Forschungsprojekte zu starten und zu fördern. Die Chancen etwas zu bewirken, werden jedoch davon abhängen, ob es gelingt, mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für diese Ziele als Mitarbeiter zu gewinnen und mehr Förderung von außen einzuwerben. Insgesamt ist der Verein jedoch – wie das Fach Kunstgeschichte überhaupt – starkem Gegenwind ausgesetzt. Unter den gegebenen Umständen ist es deshalb wohl am sinnvollsten, sich weiter auf die Förderung von Publikationen, wie die von Rüdiger Becksmann herausgegebene Reihe „Neue Forschungen zur deutschen Kunst", zu konzentrieren.

            Ein übernationaler Ansatz der Aktivitäten ist anzustreben. So wäre etwa die Gründung einer Publikationsreihe zur Kunstgeschichte im Hanseraum sinnvoll. Doch kann es gegenüber unseren Nachbarn nicht darum gehen, den deutschen kulturellen Anteil an deren Kunst zu bestimmen. Deshalb wäre zu diskutieren, ob man nicht auf das einengende Wort ‚Deutsch' im Vereinsnamen verzichtet. In jedem Falle ist in Zukunft von einem weiteren Kunstbegriff auszugehen und das 20. Jahrhundert einzubeziehen.

            Genau besehen altert ein Verein anders als seine jeweiligen Träger. Er kann sich durch neue Mitglieder und Initiativen wieder verjüngen und neue Kraft gewinnen. Dass dies stattfinden möge, ist dem Deutschen Verein für Kunstwissenschaft schon um der Erhaltung und Erforschung der Kunstwerke willen nachdrücklichst zu wünschen.

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