9.2.15



[in: Fides Theologia Ecclesia. Festgabe für Ernst Ludwig Grasmück, hg. von Norbert Jung u.a. 2012 (Bamberger Theologische Studien 37), 199-215.]



St. Marien in Freiberg, eine Predigthalle vor Luther, oder warum man den Kirchenbau um 1500 nicht ohne Kenntnis der (Kirchen-)Geschichte verstehen kann

Die mitteleuropäische Architektur der sog. Spätgotik ist erst spät zu architekturhistorischen Ehren gekommen. Die Geschichte ihrer Rehabilitierung ist ein lehrreiches Kapitel der Fachhistoriographie. Solange man an der gotischen Architektur vor allem ihr systematisches Denken bewunderte, musste sich die Architektur der folgenden Jahrhunderteihre Abqualifizierung als Spätgotik gefallen lassen. Ihre kontrastreichen, zuweilen irregulär erscheinenden Formen, ihre partielle Ornamentfülle und die Neigung zu optischen Effekten ließen sie als eine irrationale Abweichung vom rechten Pfad architektonischer Logik erscheinen, so noch im Jahr 1901 bei dem bedeutenden Architekturhistoriker Georg Dehio.[1] Erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg, einer Zeit, in der die junge Generation der Gesellschaft ihrer Eltern flachen Rationalismus und Materialismus vorwarf und in einer neoromantischen Haltung alle die Dinge aufzuwerten versuchte, die zuvor verworfen worden waren, erfuhr auch die Spätgotik, insbesondere die Hallenkirche, ihre Rehabilitierung: Als ‚Deutsche Sondergotik’ deklariert, wurde sie in der epochemachenden, 1913 publizierten Dissertation von Kurt Gerstenberg zum Ausdruck deutscher Nationaleigenschaften, ja der deutschen „Seele“ bzw. der germanischen „Rasse“ erhoben. Mit ihr sei der „ursprünglich landfremde Stil“ der französischen Gotik „verdeutscht“ worden; in ihr habe das „urdeutsche Raumgefühl“ seinen Ausdruck gefunden. Es sei deshalb falsch, von Spätgotik zu reden, sondern besser von „Deutscher Sondergotik“.[2]
Gerstenbergs Werk hat die Sicht auf diese Architektur nachhaltiger beeinflusst als jemals ein anderes Buch. Zwar sind seine Thesen inzwischen von vielen Kunsthistorikern kritisiert worden, so zum Beispiel von Friedhelm Wilhelm Fischer, Hans Joachim Kunst und Norbert Nußbaum. Auch wird der Begriff ‚Sondergotik‘ kaum noch gebraucht. Doch findet man in der Mehrzahl der Texte auch noch der letzten Jahre zu diesem Thema immer wieder Formulierungen wie „Verschleifen“, „malerischer Einheitsraum“ usw., die letztlich auf Gerstenberg zurückgehen und ein Fortleben seiner Auffassung signalisieren. Sie wirkt nachhaltiger, als man meint.
Seine Analyse fußt auf Wölfflins Begriff des ‚Malerischen‘. Er schreibt: „Erst die Formulierung, die Wölfflin dem Problem des Stils … gegeben hat, enthält die Möglichkeiten, eine Neuordnung in den Stileinteilungen der Kunstgeschichte vorzunehmen, die eine zusammenhängende Geschichte des Sehens ergeben, ohne dass hierbei Qualitätsunterschiede mitsprächen. Hiernach erhebt sich ein linearer Stil erst im Verlauf seiner Entwicklung zu reinster Erscheinungsform, untermischt sich dann mit malerischen Stilelementen und setzt sich völlig in einen malerischen Stil um, der aber wieder erst nach längerer Bahn seinen Zenith erreicht.“ Leider steht eine kritische Analyse der Wölfflinschen Lehre und ihrer z.T. fatalen Wirkungen noch aus.[3] Man hat sich von seiner Eloquenz blenden lassen und dabei übersehen, dass es sich um blanken Irrationalismus handelt, der mit ideologiegeladenen Begriffen wie Volk, Raum und Entwicklung operiert. Auch hierin ist Gerstenberg ein gelehriger Schüler Wölfflins, der u.a. von der Kunst dieser Epoche gesagt hat: „Es sind uralte Eigentümlichkeiten des germanischen Formgefühls, … in gewissem Sinne ist dieser spätgotische Stil der deutsche Stil überhaupt.“[4]
Auffällig und zeittypisch ist der Gebrauch von vagen Naturmetaphern, dafür zwei Zitate Gerstenbergs: „(es)… stellt sich wesentlich ein Eindruck stark flutender, den Raum ohne feste Richtungsbahnen durchziehender Bewegung ein“ und: ,,Erst dann, wenn die Gurtbögen und Scheidbögen ausgeschaltet sind, bleiben die Rauminhalte der Schiffe nicht mehr getrennt, sondern die Wasser schlagen zusammen.“[5] Insbesondere gehört der Begriff des Raumes zu den Schlüsselwörtern‘, die damals in Deutschland vielfältig irrationalistisch aufgeladen wurden.[6] Eine ideologiekritische Geschichte dieses Begriffes wäre ein dringendes Desiderat.
Die Folgen dieser Denkweise sind einschneidend. Es wird nicht genau beschrieben und analysiert, was zu sehen ist; der Blick gleitet vielmehr impressionistisch über die Phänomene hinweg. Erst recht wird wenig gesagt über Materialien und Konstruktion, Zustand und Restaurierungen. Die Auftraggeber und Funktionen kommen aus dem Blick. Was hier zu sagen möglich ist, demonstriert die kürzlich erschienene Arbeit von Gerd Weilandt über St. Sebald in Nürnberg.[7] Indirekte Folge ist, dass es so wenige befriedigende Baumonographien gibt. Außerdem war bisher nach meiner Kenntnis noch keiner dieser Bauten Gegenstand genauer Bauforschung.
Gerstenberg hat nicht nur die Betrachtung der Bauten auf fatale Weise geprägt, sondern auch ihre geschichtliche Einordnung. Für Gerstenberg (hat) „Die Sondergotik … dem nationalen Denken und Fühlen zu seinem Recht verholfen.“ Mit ihr sei der „ursprünglich landfremde Stil“ der französischen Gotik „verdeutscht“ worden; in ihr habe das „urdeutsche Raumgefühl“ seinen Ausdruck, ja erst eigentlich zu sich selbst gefunden. Sein Begriff der „Deutschen Sondergotik“ reiht sich ein in die damals auch anderenorts in Deutschland um sich greifende Tendenz, einen ‚deutschen Sonderweg’ zu behaupten, was u.a. zur Folge hatte, dass man sich bei der Behandlung dieser Epoche von den entsprechenden Forschungen in Europa abkoppelte, so dass es auch den Wissenschaftlern in den Nachbarstaaten nicht mehr notwendig schien, die Bauten in Deutschland zu beachten.[8]
            Gerstenberg stellt den Bautyp der Hallenkirche als Idealtypus der deutschen Architektur hin und nimmt ihre Durchsetzung für das Bürgertum in Anspruch. Das aber ist problematisch: Schaut man sich unter den Auftraggebern der Hallenkirchen Mitteleuropas um, so werden viele seit dem 13. Jahrhundert Fürsten verdankt (s.u.).
Überhaupt suggeriert er die Geschlossenheit einer Epoche, die regional sehr vielfältig ist und erhebliche historische Wandlungen durchgemacht hat. Zwar ist seine Kritik am Begriff der Spätgotik bzw. überhaupt der biologisch-entwicklungsgeschichtlichen Begrifflichkeit richtig und wichtig, aber mit dem Begriff der ‚Deutschen Sondergotik‘ hat er den Teufel mit Beelzebub ausgetrieben. Denn schon die Architektur am Rhein oder im norddeutschen Backsteingebiet sieht ganz anders aus, als in den süddeutschen Zentren und ist eng mit derjenigen benachbarter Länder verbunden. Man wird sich sogar fragen müssen, ob es zu rechtfertigen ist, von einer „deutschen Architektur“ zu sprechen, weil Deutschland zu diesem Zeitpunkt bereits in weitgehend eigenständige Territorialstaaten zerfallen war. Ebenso ist zu fragen, ob seine These der Durchsetzung des „deutschen Raumgefühls“ erst für die Zeit von 1350 bis 1530 zutrifft. Man könnte seine Kriterien ebenso gut auf Kirchen der Zeit um 1300, wie die Katharinenkirche in Oppenheim oder die  Dominikanerkirche in Colmar anwenden.
Eine weitere einschneidende Folge seiner Sicht war, dass man die Vielfalt der Bautypen aus den Augen verlor. Das ausschließliche Insistieren auf der Hallenkirche führte dazu, dass insbesondere die Basiliken, aber auch die Kapellen, die Spitalkirchen usw. ausgeblendet bzw. abgewertet wurden. Die zahlreichen mit Holztonnen gewölbten bzw. flach gedeckten Kirchen kamen erst recht nicht in Betracht. Mit einem Mal galt ein Dom wie der in Köln als „landfremd“, und Neubauten, für die man den basilikalen Typus gewählt hatte, wie die Stadtkirche St. Nikolai in Lüneburg oder die Benediktiner-Abtei St. Ulrich und Afra in Augsburg, als rückständig, ja als ‚undeutsch‘. Es kam überhaupt nicht mehr in den Sinn, dass es immer verschiedene Bautypen nebeneinander gegeben hat, weil es ja auch verschiedene Traditionen, Funktionen und Nutzer gab; ebenso wenig wurde beachtet, dass Stil bewusst gehandhabt wurde, dass man also für unterschiedliche Aufgaben und Bauteile verschiedene Formen wählte. Aufgrund dieser methodischen Selbstbeschränkung wurde es schwierig, die für die Heilig Blut-Reliquie in der Jakobskirche in Rothenburg ob der Tauber gewählte zierliche Kapellenarchitektur als Werk desselben Baumeisters Nikolaus Eseler zu verstehen, wie die mit viel voluminöseren Formen gestaltete Dinkelsbühler Georgskirche.[9] Man sah nicht, dass für den Bau in Rothenburg der vom hl. Ludwig von Frankreich errichtete Glasschrein der Sainte-Chapelle in Paris Typen-Vorbild war.
Bei näherer Betrachtung erweist sich Gerstenbergs Text und ebenso die Literatur, die auf ihm fußt, teils als nationalistisch, teils als pauschalisierend, vor allem aber als formalistisch und gegenstandsfern. Aus den vielen in Deutschland während zweier Jahrhunderte errichteten Hallenkirchen wurde ein Idealtypus herauspräpariert, die „deutsche Halle“ schlechthin. Sie ist „bürgerlich“, „raumhaltig“ usw. Die konkreten Entstehungsbedingungen und die Stellung eines jeden Baus in der Geschichte und Kirchengeschichte, seine Auftraggeber und Architekten, ja die Gestalt und Gestaltungsweise der Kirchen selbst, ihre Funktionen und speziellen Anforderungen kamen aus dem Blick. Die Idee der „deutschen Halle“ wurde zur Ideologie, die Vielfalt der historischen Wirklichkeit durch einen abstrakten Idealtypus ersetzt. Aber gerade wegen der Griffigkeit der Formel wurde diese Theorie zum Handbuchwissen, das nicht mehr aus den Köpfen zu vertreiben ist; sie kam und kommt aber auch der weit verbreiteten Bereitschaft entgegen, sich wieder nationalistischen und irrationalistischen Ideologien zu öffnen.
Zu berücksichtigen ist noch ein weiterer, die Sicht fälschender Faktor: Der Protestantismus hat nach seinem Selbstverständnis die um das Messopfer zentrierte Liturgie abgeschafft und den Gottesdienst auf das Hören des ‚Wort Gottes’ umgestellt. Die Kanzel bilde nun den Mittelpunkt des Gottesdienstes, nicht der Altar; das Hören des Wortes gelte mehr als der Empfang oder gar die Verehrung des Altarsakramentes. Um die Kirchenspaltung zu rechtfertigen, musste jedoch die vorangegangene Epoche angeschwärzt und  als bibelfeindlich dargestellt werden: Demnach habe man im Mittelalter nicht gepredigt, und wenn, dann nur lateinisch, man habe sich vom biblischen Wort abgewandt, den Laien die Bibel in der Volkssprache vorenthalten und sei unfähig zur Reform gewesen. Auf ihre Art hat aber auch die katholisch geprägte Forschung zur Verzerrung des Bildes vom 15. Jahrhundert beigetragen: Ihr galten das 12. und 13. Jahrhundert, ihre Heiligen und Theologen sowie ihre Klosterkirchen und aufragenden Kathedralen als klassisch, während die folgenden Zeiten als dekadent bewertet und verantwortlich gemacht wurden für die Entstehung der Reformation. So verfiel das 15. Jahrhundert aus unterschiedlichen Gründen bei beiden Konfessionen der Verachtung.
Das Fach Kunstgeschichte hat zwar immer an der überragenden Bedeutung dieser Zeit für die Entfaltung der Künste festgehalten, dies jedoch viel mehr bezogen auf Malerei und Skulptur, weniger auf die Baukunst, die ja immer in besonderem Maße Spiegel und Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse ist.[10] Auch hat sie auf Grund ihrer Fixierung auf die Idee des autonomen Kunstwerks und die einer ebenso autonom verlaufenden Kunstgeschichte kaum die historischen und kirchenhistorischen Fakten zur Kenntnis genommen. Sie ist damit hinter den von Cornelius Gurlitt 1890 erreichten Stand der Erkenntnis zurückgefallen. Dass das 15. Jahrhundert mehr als die Zeit davor durch zahlreiche Reformbewegungen und Reformbemühungen geprägt war, haben die Kunsthistoriker kaum beachtet, ebenso, dass die Volkspredigt in keinem Jahrhundert zuvor einen solchen Aufschwung genommen hat.
Ich möchte für eine andere Sehweise dieser Baukunst plädieren und wähle mir dafür absichtlich einen späten Hallenbau, die Marienkirche zu Freiberg in Sachsen. Doch werde ich mich aus Zeitgründen weder um die Frage nach den Baumeistern kümmern, noch um die Baugeschichte, noch um die stilgeschichtliche Einordnung:[11] Der um 1488-1501 entstandene Bau ersetzt eine Basilika der Zeit um 1200, die ähnlich wie der Bamberger Dom im Gebundenen System errichtet war; das heißt, dass ein fast quadratisches Mittelschiffsjoch von je zwei quadratischen Seitenschiffsjochen flankiert wird.[12] Die Pfeiler waren sehr mächtig, ebenso die Mauern und Gewölbe, die Kirche anscheinend recht dunkel. Deshalb mag man der Nachricht kaum Glauben schenken, sie sei bei dem großen Stadtbrand von 1484 vernichtet worden. Denn so mächtige Mauern und Gewölbe halten dem Feuer stand, wie man ebenfalls am Bamberger Dom studieren kann, wo über dem Fürstenportal noch heute die Obergaden-Mauern vom Brand im Jahre 1225 gerötet sind.
Letztlich waren es andere Gründe, die den Neubau veranlassten. Im Jahre 1480 war die Pfarrkirche zum Kollegiatstift erhoben worden. Treibende Kraft war der Wettiner Herzog Albrecht, der Erbauer der Albrechtsburg in Meißen. Er nutzte die Chance des Brandes, um Volk und Klerus die Notwendigkeit eines Neubaus plausibel zu machen und die Spendenbereitschaft durch  Besorgung reicher Ablässe und offenkundige Übertreibung der Notlage zu mehren, eine das ganze Mittelalter über nachweisbare Praxis. Freiberg war Residenzort, die Kirche diente auch dem fürstlichen Hof, ebenso das Stiftskapitel[13]. Hinter den Stiftsherren steht also der Herzog: Er war es, der eine „structura sumptuosa“, eine aufwändige Architektur, wünschte und sie auch finanzieren konnte. Dass er dies konnte, ist aus dem Reichtum der neuen Silberfunde in den Freiberger Bergwerken zu erklären. Deren Einnahmen flossen zum großen Teil in des Herzogs Säckel. Albrecht versuchte jedoch, die Baulast möglichst zu verteilen. Die Freiberger Kirche ist also auch Hofkirche, und deshalb ist mit Hermann Meuche zu fragen, ob die Einführung der Empore, die damals in Sachsen etwas Neues war, nicht mit dieser Funktion zusammenhängt. Ich komme noch einmal darauf zurück.
Die alte These von der „Bürgerlichkeit“ der Hallenkirche wird noch hinfälliger, wenn  man sich die anderen abgebrannten Pfarrkirchen Freibergs anschaut, deren Wiederaufbau von den Bürgern allein finanziert werden musste: Sie sind allesamt sehr bescheiden.[14] Im übrigen werden nicht wenige Hallenkirchen Mitteleuropas vom 14. Jahrhundert an fürstlichen Auftraggebern verdankt. Ich nenne nur einige Beispiele aus der Wittelsbacher-Dynastie: Ludwig dem Bayern die Spitalkirche Ingolstadt, seinem Neffen, Bischof Ludwig von Minden die Damenstiftskirche Obernkirchen bei Bückeburg.[15] Auf die Pfalzgrafen gehen die Neubauten der Heidelberger Hl.-Geist-Kirche und der Martinskirche in Amberg zurück, auf Ludwig VII. den Gebarteten das Ingolstädter Münster, auf die Herzöge von Niederbayern die Kirchen des Hanns von Burghausen in Landshut und Straubing, auf die Herzöge von Oberbayern die Münchner Liebfrauenkirche usw.
Die Fürsten bauten damals beständig ihre Macht in ihren Territorien im Sinne des frühen Absolutismus gegen den Kaiser, den Adel und die anderen Gesellschaftsgruppen aus. Die Einwirkung der sächsischen Herzöge ist schon deshalb anzunehmen, weil sie wie die meisten und Reichsstände eine Kirchenpolitik betrieben, die ihre Rechte über Klerus und Kirche beharrlich verstärkte.[16] Zunächst rissen sie die Pfründenvergabe und die Kontrolle der Finanzen an sich, dann das Unterrichtswesen, und schließlich griffen sie auch in die Fragen klerikaler Disziplin und Lebensführung ein. Deswegen finden wir sie auch an der Spitze der Ordensreformen und anderer geistlicher Reformbemühungen. Selbstverständlich mischten sie sich auch in alle Angelegenheiten des Kirchenbaus ein, der fast ganz der Zuständigkeit des Klerus entglitt. Vom Zugriff auf den Kirchenbau war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur späteren Abtrennung des alten Chores und seiner Umwidmung zum Mausoleum des albertinischen Zweiges der wettinischen Dynastie. Es ist also legitim, die Freiberger Kirche als Hofkirche zu bezeichnen. Sie ist als Hofkirche jedoch etwas Neues; denn hier wird der Fürst nicht vom Volk getrennt, sondern feiert mit ihm gemeinsam Gottesdienst. Anscheinend soll die neue Anordnung ein verändertes Gesellschaftsmodell zum Ausdruck bringen, ein paternalistisches Verhältnis zu den Untertanen.
Man hat daraus noch eine weitere Konsequenz zu ziehen: Es handelt sich bei der Freiberger Kirche und den ihr verwandten Bauten streng genommen nicht um sächsische Baukunst im regionalen Sinne des Begriffs, sondern um Baukunst in den albertinisch- wettinischen Territorien. Die Kirchen im ernestinischen sachsen, im Erzbistum Magdeburg oder gar in Erfurt sehen anders aus. Man kann also keine brauchbaren kunstgeographischen Aussagen machen, ohne die reale politische Situation des Ortes und der Zeit zu berücksichtigen.
 In den Quellen wird der Neubau der Freiberger Kirche vornehmlich damit begründet, als Halle für die Predigt gegen die „Häretiker in Böhmen“ benötigt wird. Dass dies noch so spät im 15. Jahrhundert notwendig erschien, zeigt, wie weit verbreitet in Deutschland hussitisches Gedankengut noch kurz vor der Reformation war und wie sehr die hssitische Botschaft gefürchtet wurde.[17] Es fiel schwer, die Kirchenkritik der Hussiten einzudämmen, denn es gelang ja auch kaum irgendwo, die Missbräuche abzuschaffen, wie der Skandal um die gefälschten Wilsnacker Bluthostien zeigt. Die hussitischen Lehren fanden insbesondere in den Nachbarländern Böhmens fruchtbaren Boden.[18]
Als Hauptmittel zur Eindämmung der hussitischen Propaganda galt die Predigt. Man stiftete an vielen Hauptkirchen eigene Predigerpfründen.[19] Dass sie nicht als etwas Temporäres erachtet wurden, ist daran abzulesen, dass man die Kanzeln mit großem Aufwand aus Stein und an prominenter Stelle errichtete. Die Kirchen wurden entsprechend umzubauen. Die neue Freiberger Kirche war von vorneherein als Predigthalle konzipiert, so groß, dass die gesamte Freiberger Bürgerschaft in den Raum passte. Letztlich hatte sie damit im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eine Dimension bekommen wie zuvor nur die Kathedralen. Das sagt etwas über die schwache Stellung des Diözesanbischofs in den Wettiner Landen aus, und entspricht auch einem Trend: Denn es werden im 15. Jahrhundert keine neuen Kathedralen mehr gebaut, und die unvollendeten blieben in der Regel liegen. Auf die Kritik der Hussiten am Kunstluxus ging man in der Weise ein, dass ein strenger, herber, nicht auf die Entfaltung sinnlicher Reize bedachter Stil bevorzugt wurde. Diese Bemühungen um eine Reform der Kirche und der Kirchenkunst machten sich die Fürsten zu eigen, so auch die Herzöge von Sachsen. Vieles, was von den Auftraggebern und Funktionen her Hofkunst genannt werden müsste, erweist sich zugleich als Kunst der Kirchenreform. Eine derartige funktionale Neubestimmung des Kirchenraumes würde man jedoch eher neuzeitlich nennen, nicht spätmittelalterlich. Jedenfalls leugnet die Behauptung, der Freiberger Kirchenbau gehöre der spätesten Spätgotik an, seinen Innovationscharakter.
Betrachten wir nun zunächst eingehend und aus der Nähe den Freiberger Bau : Bezeichnend ist, dass er eigentlich nur ein Neubau des Langhauses ist, das eingespannt wurde zwischen die alte Westfassade und den Sanktuariumsbau der Jahre nach 1386. Der Raum ist im Gegensatz zum Vorgängerbau eine Halle, zwar ebenfalls dreischiffig, doch sind die Seitenschiffe im Verhältnis zum Mittelschiff breiter; sie sind keine Nebenräume mehr. Da die Pfeiler sehr schmal sind, die Interkolumnien aber sehr breit, kann das Auge ungehindert fast den ganzen Kirchenraum überblicken.[20] Es ist bezeichnend, dass die thematisch bedeutsamen Figuren der Apostel nicht an den Pfeilern im Mittelschiff stehen, sondern an den Wandvorlagen der Seiten. Die Raumgrenze ist also nicht mehr die Mittelschiffswand bzw. die Reihe der Pfeiler in der Mitte, sondern die Außenwand.[21]
Gerstenberg behauptet u.a.: „Das eigentlich Charakteristische dieser Raumbewegung … ist das allgemein drängende, richtungslos wogende“(52, s.a. 73 u. 114) und: „Im sondergotischen Hallenraum … herrscht völlige Richtungsfreiheit.“ Der Freiberger Raum ist jedoch keineswegs „richtungslos“. Man hat ihn vielmehr als eine Verbindung eines mittelachsialen, auf das Allerheiligste ausgerichteten, von zwei Pfeilerreihen flankierten Wege-Raumes zu begreifen . Diese Längsausrichtung wird überlagert von einer an der Kanzel, dem zweiten Mittelpunkt der Kirche, orientierten Zentralraumtendenz, die jedoch im Prinzip nachgeordnet bleibt. Das Überwiegen der Longitudinaltendenz und die Mittelpunktfunktion des ehemals am Ostende des Langhauses stehenden Altars mit seinem (verlorenen) Retabel drängte sich dem Besucher schon dadurch auf, dass er die Kirche in der Regel durch den Haupteingang im Westen betrat (und betritt), von wo auch die breite Wendeltreppe auf die Empore führt.[22] Die Zentralraumtendenz des Kirchenraumes wird hingegen vorherrschend, wenn man sich oben auf der Empore befindet. Von dort aus gesehen ist die sog. Tulpenkanzel von 1505 der Mittelpunkt des Raumes. Damit jeder den Prediger möglichst sieht und hört, ist man bei der Konzeption dieser originellen wie rätselhaften Kanzel so weit gegangen, dass man sie nicht – wie damals üblich – an einen der Pfeiler anlehnte, sondern sie völlig frei und ohne Rückwand aufstellte, was mindestens so ungewöhnlich ist wie das Thema dieses Werkes.[23]
Genau gegenüber hatten die Fürsten ihren Sitz; deshalb kann man von einer zweiten quer liegenden, auf den Fürsten und seinen Hof orientierten Mittelachse sprechen, die die Kanzel einbezog. Diese Mitte wurde noch dadurch betont, dass der Ring-Schlussstein, im Volksmund Aufzugsloch genannt, ungewöhnlicherweise in dieser Achse angebracht ist:[24] Durch ihn konnte man am Himmelfahrtstag eine Christusstatue hochziehen oder am Pfingstfest Blütenblätter als Erinnerung an die Herabkunft des Hl. Geistes herabwerfen.
Die Kombination von Zentral- und Längsraum wird in der Gewölbefiguration durch die Anbringung querlaufender Scheitelrippen zwischen Mittel- und Seitenschiffen unterstrichen. Diese zweite Mittelachse ist zugleich Symmetrieachse zwischen dem westlichen und dem östlichen Langhaus. Eine derartige Zentrierung und Symmetriebildung auch bei großen, sich über mehrere Joche erstreckenden  Räumen ist typisch für Säle wie Hallen und kennzeichnet etwa die großen Hauptsäle in der von Arnold von Westfalen konzipierten Albrechtsburg in Meißen.[25] Wie weit Besonderheiten in der Aufstellung und Verzierung des Gestühls und in der Ausstattung der Altäre mit Skulpturen und Gemälden diese Tendenz noch verstärkten, entzieht sich bisher unserer Kenntnis. Die Bemalung des Gewölbes gibt keine Aufschlüsse, da sie nur an wenigen minder wichtigen Stellen erhalten ist bzw. aufgedeckt wurde. Immerhin ist in der Gewölbefiguration die Anbringung quer laufender Scheitelrippen zwischen Mittel- und Seitenschiffen festzuhalten.
Der Entwurf der Gewölbefigur führt also weder zu „Jochverschleifung“, noch zu „malerisch verschwimmenden Räumen“. Denn die Jochgrenzen bleiben sichtbar, auch handelt es sich keineswegs um reine Netzgewölbe.[26] Entgegen Gerstenbergs These von der „Aufhebung der festen Grenzlinien des Gurtbogens“ sind die Gurte in Freiberg gut erkennbar und nicht einmal unterbrochen. Bezeichnend für die genau abgestufte Hierarchie der Formen ist, dass sich in den anspruchslosesten Raumkompartimenten der Kirche, wie den kleinen Seitenkapellen unter den Emporen, der gotische Gewölbe-Urtyp, das vierteilige Kreuzrippengewölbe, findet. In den beiden Seitenschiffen und mehr noch im Mittelschiff wird es bereichert und dadurch in seiner Erscheinung und Wirkung gesteigert. Der Konstruktion nach ist das Gewölbe eine Längstonne mit Stichkappen. Anders als bei früheren Bauten finden sich Schlusssteine auch auf den Scheiteln der Gurtbögen. Sie unterstützen die Longitudinaltendenz. Der Baumeister hat die Gewölbefiguration bereichert durch den Wechsel großer und kleiner übereck gestellter Quadrate.
Das ist zwar kompliziert, aber erkennbar und benennbar, keineswegs verschliffen. Diese kunstreiche Erfindung rechnet mit einem kundigen Betrachter, der auch Unterschiede von nur wenigen Zentimetern wahrnimmt, der die virtuose Polyphonie zu verstehen und zu schätzen weiß, und der bemerkt und genießt, dass die Mittelschiffsgewölbe reicher sind als die der Seitenschiffe. Wie oberflächlich und unangemessen die gängige Betrachtungsweise ist, zeigt sich, wenn noch in den neuesten Kirchenführern behauptet wird: die Gewölberippen hätten alle dasselbe Profil. Zwar ist – verglichen mit manchen süddeutschen  Bauten – in Freiberg die Tendenz zur Vereinfachung der Formen bemerkenswert, doch wird genauem Vergleich wird deutlich, dass es zwei klar unterscheidbare Typen von Rippen gibt: Die übergeordneten, die das Netzgewölbe bedienen und die untergeordneten, die als Zwischenrippen und als Träger der Jochteile zu verstehen sind. Sie sind eindeutig kleiner als die Hauptrippen. Im Gewölbe sind also statische Kreuzrippen und dynamische Netzgewölbe kombiniert. Analog sind die Rippen sowohl funktional konstruktive Träger, als auch Schmuck.
Virtuosität und fast metallische Präzision der Form sind auch Charakteristika der damaligen bildenden Kunst, z.B. der Kupferstiche von Schongauer und Dürer, in deren Zeit dieser Neubau ja fällt. Warum sollte es bei der Architektur anders sein? Wir tun gut daran, keinen zu großen Unterschied im künstlerischen Empfinden zwischen den figürlichen Künsten und der Baukunst zu machen. Auffälliger Zug der damaligen Virtuosität ist es, wenn Formen zwei oder noch mehr Aussagen auf einmal darzustellen versuchen. Man betrachte etwa die Dangolsheimer Madonna in Berlin: die Gewandfalten und Kräusellocken sind ein üppiger Schmuck, sie sind ausdrucksgeladen, und sie sind Bedeutungsträger, dies alles unauflösbar miteinander vermengt und zugleich virtuos inszeniert. Analoges bemerken wir, wenn wir die Bedeutung näher untersuchen; das Kind flüchtet sich vor den vorhergesehenen Schrecken der Passion in den Schutz der Mutter, und es ist doch zugleich ein verspieltes Baby. Trauer und Freude zugleich auszudrücken, scheint uns eine Unmöglichkeit, aber es war eins der erklärten Ziele der alten Meister.
Analog ist die Architektur einzuschätzen: sie ist dekorativ, expressiv, konstruktiv und bedeutungsgeladen zugleich, und das in einer jeweils individuellen Mischung – und doch gibt es einen gemeinsamen Kanon an Regeln. Alles auf einen einzigen Begriff zu bringen, wie etwa Jantzens Diaphanie, ist falsch, aber ebenso falsch ist das moderne Entweder-Oder– es muss heißen: „sowohl – als auch“.0
Beobachtungen am Bau selbst bezeugen, wie überlegt abgestuft wurde: So ist die große Wendeltreppe, über die der Zugang zu den Emporen erfolgt, ein primär funktionaler Raum und deshalb nur mit sogenannten Zellengewölben versehen, d.h. einem kompliziert erscheinenden Gebilde aus irregulär wirkenden Kappen. Diese Gewölbeform ist nach damaligem Verständnis dem Rippengewölbe rangmäßig nachgeordnet, denn sie hat nur Grate, nicht aber vom Gewölbemauerwerk abgesetzte profilierte Rippen, hat also weniger Schmuckwert. Diese Rangstufung lässt sich ebenso in der Albrechtsburg in Meißen belegen, aber auch z.B. in der Danziger Marienkirche, deren Mittelschiff mit Rippen verziert ist, während die Seitenschiffe nur Zellengewölbe haben.[27] Eine derartige Unterscheidung ist jedoch bereits bei Bauten des 11./12. Jahrhunderts festzustellen, wo plastisch geformte Rippen mehr als die unverzierten Grate galten. [28] Es gibt sogar Fälle, in denen die Seitenschiffe mit Kreuzgratgewölben, die Mittelschiffe aber mit Kreuzrippengewölben eingedeckt wurden. Diese Art von Rangabstufung darf als konstant beherzigte Regel der gotischen Architektur gelten, bestimmt die architektonische Gestaltung jedoch weit darüber hinaus.
Wir trennen aufgrund unserer latent vom Klassizismus dominierten Auffassung streng die architektonische Form vom Ornament. Das mittelalterliche Verständnis von Ornament unterscheidet sich von dem heutigen jedoch erheblich. Der Sprachgebrauch des biblischen Schöpfungsberichtes: „Vollendet waren Himmel und Erde mit allem ihrem Schmuck“ und andere Passagen der Hl. Schrift geben uns den Schlüssel zum Verständnis dieser eigentümlichen, heute so fremden Ornamentauffassung. Aus damaliger Sicht wird erst durch den Schmuck ein Kunst- oder Bauwerk vollendet. Demnach ist Bauschmuck nichts Nebensächliches, sondern Hauptsache. Der entscheidende Unterschied zum Klassizismus ist, dass Säulen, Pilaster, Arkaden, Gewölberippen, ja überhaupt alle architektonischen Gliederungen zum Bauschmuck gezählt werden, sich also in ihrem Wesen nicht von dem kleinteiligen, applizierten Ornament, wie Kartuschen, Blattwerk usw. unterscheiden. Entgegen der heutigen Trennung tektonischer und ornamentaler Bestandteile galten beide zuvor sowohl als Bauschmuck wie auch als funktional notwendig. Da bei der Baukunst der Kunstcharakter betont wird, gilt für auch sie die Künstler-Regel, dass jedes Werk mit künstlerischem Anspruch eine neue Erfindung zu sein habe. Hat man das verstanden, so fällt es nicht schwer, die doppelte Aufgabe und Absicht der damaligen Gewölbefigurationen zu begreifen: sie sind konstruktiv und dekorativ zugleich! Diese Auffassung überwiegt bis zum 18. Jahrhundert, ein Grund mehr, sich von der Epochenpolarisierung zu verabschieden.
Die Sockel der Mittelschiffs-Pfeiler sind achteckig. Diese banal erscheinende Feststellung ist insofern von Gewicht, weil sie deutlich macht, dass die reine geometrische bzw. stereometrische Form wie schon in der Frühzeit der Gotik die Grundlage und das Ideal dieser Architektur ist, d.h. dass sich der Architekt als Magister der Geometrie versteht. Geometrie wird hier kunstreich, ja geradezu virtuos entfaltet und dabei verfremdet. [29] Die acht Seiten der Pfeiler sind in einem genau eingehaltenen Krümmungsradius konkav gekehlt. Diese Kehlung setzt mitten im Postament ein und sie ist im Vergleich zur Glattflächigkeit der Achtecksockel als ein Mehr an Form zu verstehen. Vergleicht man dann diese Pfeiler mit den korrespondierenden Strebepfeilerköpfen, so entdeckt man, dass dort die Sockel der Vorlagen rund sind, ebenso bei den untergeordneten Stützen unter den Emporen im Osten. Im Gegensatz zur klassischen Säulenordnung ist die Rundform hier also nicht als die höherrangige, sondern als die hierarchisch nachgeordnete Form gemeint. Die Säule wurde nicht so sehr als wichtige symbolische, bedeutungs- und traditionsbeladene Architekturform empfunden, auch nicht anthropomorph, sondern rein stereometrisch als Zylinder. Im Formenverständnis des Baumeisters war die Rundform einfacher als die achteckige, die glatte Wandfläche formärmer als die konkav gekehlte. Das wird durch weitere Beobachtungen bestätigt. Zunächst fällt auf, dass die Postamente der Mittelstützen höher sind als die der Vorlagen, was einen höheren Rang der Mittelpfeiler erkennen lässt.  Sodann sind sie vom Pfeilerschaft abgesetzt durch eine Kehle und durch ineinander gesteckte Stäbe, in Anspielung auf die klassische attische Basis, aber auch als ein Mehr an Schmuck. Bei den Wandvorlagen hingegen wächst der Wandpfeilerkopf ohne Absatz aus dem Sockel. Obendrein ist er einem halben Sechseck angenähert, wählt also die niedrigere Polygonzahl, wobei nur zwei Seiten gekehlt sind. Er hat also eine schmuckärmere, einfachere, demnach rangniedrigere Form. Mit dieser Gestaltung werden mehrere Effekte auf einmal erreicht: Der Strebepfeiler wirkt mächtiger und stabiler als die überaus schlanke Achteckstütze, er erscheint eher als Teil der Konstruktion, die Stütze dagegen eher als Teil der Repräsentation. Jedenfalls kann allein schon aus diesen wenigen Beobachtungen erschlossen werden, dass die Bauglieder in ein System gebracht worden sind, das sich erkennen und benennen lässt.
Die acht Seiten der Pfeiler sind in einem genau eingehaltenen Krümmungsradius konkav gekehlt. Diese Kehlung ist im Vergleich zur Glattflächigkeit der Achteck-Sockel als ein Mehr an Form zu verstehen. Vergleicht man dann die Achteckpfeiler mit den korrespondierenden Strebepfeilern, so entdeckt man, dass die Sockel der Vorlagen rund sind. Im Gegensatz zur klassischen Säulenordnung ist die Rundform hier jedoch nicht als die höherrangige, sondern als nachgeordnete Form gemeint. Das dürfte so zu erklären sein, dass die Säule nicht so sehr als symbolische, bedeutungs- und traditionsbeladene Form empfunden wurde, auch nicht anthropomorph, sondern rein geometrisch, nach den Graden der Einfachheit abgestuft. Im Formverständnis des Baumeisters war die Rundform einfacher als die achteckige, die glatte Wand formärmer als die konkav gekehlte. [30] Das wird durch weitere Beobachtungen bestätigt. Zunächst fällt auf, dass die Sockel der Mittelstützen höher sind als die der Vorlagen, was den höheren Rang der Mittelpfeiler und ihrer Formen erkennen lässt. Sodann sind die Sockel vom Achteckpfeiler abgesetzt durch eine Kehle und durch ineinander gesteckte Stäbe, beides in Anspielung auf die klassische attische Basis. Bei den Wandvorlagen hingegen wächst der Wandpfeilerkopf ohne Absatz aus dem Sockel. Obendrein ist er einem halben Sechseck angenähert, wählt also die niedrigere Polygonzahl, wobei nur zwei Seiten gekehlt sind. Er hat eine einfachere, also rangniedrigere Form. Mit dieser Gestaltung werden mehrere Effekte auf einmal erreicht: Der Strebepfeiler wirkt mächtiger und stabiler als die überaus schlanke Achteckstütze; er erscheint eher als Teil der Konstruktion, die Stütze dagegen als Teil der Repräsentation.
Blicken wir nun in die Zone der Rippenanfänger, so ist zu bemerken, dass es zwei Typen von Rippen gibt, die präzise zu unterscheiden sind. Zuerst sieht man tiefer ansetzende Rippen, die auf einem konsolartig aus den Kanten der Pfeiler herauskommenden Viertelkreis fußen und ausschließlich die Netzfiguration bedienen, von der oben festgestellt wurde, dass sie dynamischer und moderner, d.h. die höherrangige Form innerhalb des Gewölbes sei. Die höher ansetzenden Rippen wachsen dagegen nicht aus den Pfeilerkanten hervor, sondern stoßen unvermittelt in die Pfeilerflächen. Auch fußen sie nicht auf konsolartigen Gebilden. Die nachgeordneten Elemente – man könnte auch von einer 1. und 2. Ordnung sprechen – sind den einfacheren und statischeren, und damit auch den zugleich altertümlicheren wie konventionelleren Gewölbefiguren zugeordnet. Dies alles lässt sich leichter im Bau selbst sehen als mit Worten beschreiben.
Die Analyse soll nicht weiter ausgedehnt und an allen übrigen Teilen der Kirche durchexerziert werden. Wichtig ist zunächst die Schlussfolgerung, dass dieser Baukunst eine künstlerische Denkweise zugrunde liegt, die zwar nicht mehr mit derjenigen der gotischen Architekten des 13. Jahrhunderts übereinstimmt, die aber aus ihr ein eigenes und genaues System entwickelt hat, das gesehen und verstanden werden will. Sie rechnet mit einem Auge, das nicht impressionistisch über alles hinweggleitet, sondern auch Differenzen von 2 cm wahrnimmt. Sie rechnet vor allem mit einem kundigen Betrachter, der nicht nur die künstlerischen Intentionen bemerkt, sondern z.B. auch die Ähnlichkeiten mit der Meißener Albrechtsburg.
Einiges bleibt jedoch noch zu den eigentümlichen Ausdrucksqualitäten dieser Bauformen zu sagen. Mit seinem sparsamen Repertoire an Motiven hat der Baumeister Vieles erreicht: So ist der Gegensatz zwischen dem geradseitigen Achtecksockel und den konkav ausgehöhlten Seiten der Stützen darüber sehr signifikant: der Sockel drückt Festigkeit aus, die konkave Form Schlankheit, Leichtigkeit, aber auch Askese. Bezeichnend ist nun, dass in den Wandpfeilervorlagen die gerade Fläche des Pfeilersockels als ein Stück ungegliederter und unverzierter Mauer ohne Unterbrechung in die Höhe gezogen ist und somit stärkere Stabilität der Wandpfeiler suggeriert. Unten am Übergang vom runden Sockel zur polygonalen Vorlage findet sich sogar ausnahmsweise ein Stück einer Kugelkalotte, die einzige konvexe Form im ganzen Bau, die nun den Kraftakt des Stützens sinnfällig zum Ausdruck bringt. Man sollte sich mit Interpretationen dieser Ausdrucksqualitäten zwar zurückhalten; doch ist es unübersehbar, dass dieser Stil ein asketisches Verhältnis zum Körper hat (und empfiehlt), wogegen sich etwa die Barockarchitektur sinnlich und üppig präsentiert.
Die Beobachtung, dass die Achteck-Stützen repräsentativer gestaltet, ja regelrecht inszeniert werden, offenbart einen anderen Mangel von Gerstenbergs Analysen, die Vernachlässigung der Bedeutung. So liegt es nahe, die 14 Stützen der Freiberger Kirche nicht nur als ehemalige Standorte der 12 von Christus und Maria angeführten Apostel zu verstehen, sondern auch symbolisch auf das vom Apostel  Paulus im Epheserbrief entwickelte Konzept der Kirche als Gebäude, das auf den Stützen der Apostel ruht und auf den Mauern der lebendigen Steine, d.h. den Gläubigen als den ‚lapides vivi’ (u.a. 1 Pet 2,5) mit Christus als dem Schlussstein.[31] Außerdem bringen die heute etwas beliebig in der Kirche verteilten Apostelstatuen auf ihren Schriftbändern die zwölf Sätze des Glaubensbekenntnisses in Erinnerung und ermahnen damit die Gläubigen, bei der einzig rechten katholischen Lehre zu verbleiben.[32]
 Bemerkenswert ist weiterhin, dass der Gedanke des künftigen Jüngsten Gerichtes nicht durch eine Weltgerichtsdarstellung mit Himmel und Hölle, d.h. mit süßen Verheißungen und schrecklichen Drohungen, eingeschärft wird wie etwa im Ulmer Münster, sondern durch die gleichnishaft zu verstehenden Statuen der Klugen und Törichten Jungfrauen, eine eigenartig milde Weise, einen aufwühlenden Glaubenssatz lehrhaft, emotional und repräsentativ zugleich zu vermitteln.[33]
Der schmuckreichste Teil der Freiberger Kirche ist das alte Hauptportal des Vorgängerbaus, die Goldene Pforte von etwa 1230, auf deren komplexe Programmatik und kunsthistorische Bedeutung hier nicht eingegangen werden kann. Wahrscheinlich bildete sie den Westeingang des Vorgängerbaus, doch ist das keineswegs gewiss. Daran dass sie versetzt worden ist, besteht jedoch kein Zweifel. Doch was waren die Gründe, und was sagt uns das über die Absichten der Auftraggeber des Neubaus? Das alte Portal wurde seit seiner Versetzung Zugang zur Kirche vornehmlich für die Kanoniker. Gerade die jüngste unter den an der Kirche angesiedelten geistlichen Institutionen erhielt also den ältesten und ehrwürdigsten Teil in ihre Obhut, wenn man die noch ältere Triumphkreuzgruppe ausnimmt.. Man darf diese Versetzung und Neueinfassung allgemein als Beleg wachsenden historischen Sinnes und zunehmender Beachtung der monumentalen Geschichtszeugen deuten.[34]
Im Gewände der Goldenen Pforte finden wir sehr unterschiedlich geschmückte Säulen, unter anderem auch nach Art der Kirchenpfeiler kannelierte. Obwohl dergleichen Formen seit der Spätantike keine Seltenheit sind, hat man sich zu fragen, ob nicht bei den Freiberger Kirchenpfeilern eine bewusste Anlehnung an das alte Portal vorliegt. Überhaupt scheint mir diese Baukonzeption ein eigenartiges Geschichtsverständnis zu offenbaren. Untersucht man die Beweggründe der vielen ‚Reformationen’, die im Verlaufe des Mittelalters unternommen wurden, so werden fast alle von ihnen weniger als Veränderung und Innovation, sondern als Wiederherstellung der ursprünglichen Ordnung deklariert. Beim Anblick des so neuartig erscheinenden Freiberger Kirchenbaus ist man zunächst geneigt zu bestreiten, dass hinter dem Freiberger Architekturkonzept eine Orientierung an alter Architektur stehen könnte. Allerdings muss man an derartige Fragen mit größter Umsicht herangehen, da man im Mittelalter Dinge als ähnlich verstand, die wir nie so bezeichnen würden, wie sich etwa an den Kopien des Hl. Grabes in Jerusalem oder der Geburtskirche in Bethlehem zeigen lässt.[35]
Typengeschichtlich bemerkenswert ist vor allem das Wiederaufgreifen der Emporen: Sie sind eine uralte, aus der Spätantike stammende Einrichtung, u.a. als Platz für die Träger der Herrschaft gedacht oder für die Frauen. Mit der zunehmenden Ausrichtung der Liturgie auf den Hochaltar, der Segregation von Klerus und Laien sowie der wachsenden Sakramentsverehrung gerieten sie im frühen 13. Jahrhundert außer Gebrauch.[36] Dass sie nun wieder eingeführt werden, ist als Akt von großer Tragweite zu verstehen, weil damit die Predigt aufgewertet und die Rolle der Laien in der liturgischen Feier im Wesen verändert wurde.[37]
Insgesamt wird die Wirkung dieses Raumes geprägt durch seine große Höhe, seine Transparenz und vor allem seine Helligkeit. Den Kirchen dieser Epoche die Höhentendenz abzusprechen, ist eine der Verdrehungen des Konzepts der „Sondergotik“.[38] Gerade durch die Betonung der Horizontalen in den Geländern der sich um die Wandpfeiler verkröpfenden Emporen wird die Senkrechte der Mittelschiffspfeiler in ihrer Wirkung gesteigert, die Vorbilder des Heilig-Kreuz-Münsters in Schwäbisch-Gmünd und der Lorenzkirche in Nürnberg noch überbietend.[39]
Die damaligen Wohnräume waren wegen der hohen Kosten für Fensterglas, künstliche Beleuchtung sowie Heizung meist klein, niedrig und dunkel. Für die daran gewöhnten Menschen waren deshalb so hohe und weite Räume mit großen hellen Fenstern, wie die der Freiberger Kirche, höchst ungewöhnlich und dürften sie allein schon als technische Leistung beeindruckt, in ihrer Lichtfülle aber geradezu überwältigt haben. Das durch die Verglasung getönte, silberhelle Licht gab diesem Raum, seinen Farben und dem früher sicher reichlicher verwendeten Gold festlichen Glanz. Ihre theologische Begründung fand es in der Bibel, zumal der Schilderung der Sancta Sanctorum, ##des Glanzes der Himmelsstadt Jerusalem, sowie in der von den Theologen, insbesondere dem sog. Dionysios Areopagita, herausgearbeiteten Lichtmetaphysik.
Dass diese Helligkeit nicht von allen gebilligt wurde, belegt eine Bemerkung des bayerischen Geschichtsschreibers Aventin (1477-1534): "Unsere Vorvorderen, die alten deutschen Christen, waren fromme, geistlich gesonnene Leute;... wie das bekannte Sprichwort sagt: Die Alten haben finstere Kirchen und lichte Herzen gehabt, jetzt haben wir schöne, große, lichte, bemalte Kirchen, aber finstere Herzen...". Wir wissen, dass dies z.T. ein falsches Bild der Kunstgeschichte ist, aber Aventin beruft sich auf „die alten Zeugnisse, die in unseren Buchkammern noch vorhanden sind“.[40] Aber helle Kirchen wie die in Freiberg sind für die protestantischen Kirchen zukunftsweisend, u.a. weil sie die Lektüre erleichterten.
So betrachtet sind die Marienkirche in Freiberg und vergleichbare Bauten in Sachsen und seinen Nachbarländern nicht Zeugnis „Deutschen Raumgefühls“, sondern Dokumente der künstlerischen Umsetzung kirchenreformerischer Bemühungen der sächsischen Herzöge am Vorabend der Reformation.
Wie ist diese Baukunst nun epochal einzuordnen? Gesehen vom Standpunkt der älteren Architektur fällt das Neue der Raumbildung auf, die Umwandlung der Basilika in einen weiten Saal mit zwei Reihen schlanker Stützen. Der Umgang mit den Architekturgliedern hingegen orientiert sich an der gotischen Tradition, wie sie seit dem 12. Jahrhundert ausgebildet wurde. Der Kirchenbau wirkt jedoch im Vergleich etwa mit dem Kölner Dom sehr einfach und im Formenaufwand reduziert. Sieht man den Bau jedoch von der späteren Architektur her und vergleicht ihn mit der Jesuitenkirche in München oder der Bückeburger Hofkirche, so fragt man sich, warum man von einem Epochenwandel sprechen soll? Wenn so wichtige Elemente wie die Raumanordnung, die Gewölbe, die Durchfensterung, die Konstruktion usw. bleiben bzw. eng verwandt sind und sogar das Ornament nur in den Motiven, nicht aber in den Prinzipien abweicht – was ist damit gewonnen, das eine Gebäude als spätgotisch und das andere als Renaissance zu definieren?
            Die Lage ist ähnlich in den Bildenden Künsten: Dort finden wir die absurde Situation vor, dass die italienischen Meister des 15. Jahrhunderts als Renaissance-Künstler gefeiert werden, ihre niederländischen Kollegen aber, von denen sie so viel gelernt haben, weiter als ‚Spätgotiker‘ gelten. Das Dilemma kann jedoch seit den Forschungen Rudolf Preimesbergers als gelöst gelten. Er konnte nachweisen, dass Jan van Eyck, der große Bahnbrecher der niederländischen Malerei, durchaus seine Kunst in Anlehnung an die Antike umgewandelt habe, doch ging er nur von antiken Schriften aus, nicht von der Kenntnis antiker Werke. Es handelt sich demnach auch nördlich der Alpen im Wortsinn um eine Renaissance, eine Wiedergeburt. Deshalb scheint es mir am zutreffendsten zu sein, den in Amerika gebräuchlichen Begriff der Northern Renaissance zu übernehmen. Am Anfang dieser Epoche stünde in Mitteleuropa Peter Parler, der Hofbaumeister Kaiser Karls IV. Die italienischen Formen wurden aufgegriffen, weil der Humanismus die Antike als einzigen Lehrmeister und Maßstab durchsetzte und die Kirche wie die Fürsten nach und nach für den neuen Geschmack zu gewinnen vermochte, eine Veränderung, die fast nur auf den Bauschmuck ausgerichtet war, denn konstruktiv, in der Überwölbung weiter Räume und der Schaffung großer Fenster, waren und blieben die nordalpinen Baumeister die Lehrmeister ihrer italienischen Kollegen und ihnen darin allemal überlegen. Somit könnte man die meiste Architektur bis hin zu Balthasar Neumann als latente Gotik definieren.


















            Letztlich aber tragen derartige allgemeine Überlegungen nur wenig oder gar nichts zum Verständnis der nordalpinen Kirchenbaukunst des 14. Bis 16. Jahrhunderts bei. Meine Aufforderung lautet deshalb – abgesehen von schärferer Kritik an der Architekturgeschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts: Zurück zu den Bauten selbst! Zurück zu den Quellen! Zurück zu den Fakten!
Das an Heinrich Wölfflins ‚Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen’ orientierte Konzept des „Malerischen“ erweist sich als fataler Irrweg einer modernistischen Kunstanschauung, der der Sinn für das präzise Erfassen und die konkrete Erscheinung der Form abhanden gekommen ist.[41] Man muss deshalb versuchen, sich empirisch die hermeneutische Basis für das Verständnis dieser Architektur zu schaffen.




der Kupferstiche von Schongauer und Dürer, in deren Zeit dieser Neubau ja fällt. Warum sollte es bei der Architektur anders sein? Wir tun gut daran, keinen zu großen Unterschied im künstlerischen Empfinden zwischen den figürlichen Künsten und der Baukunst zu machen. Auffälliger Zug der damaligen Virtuosität ist es, wenn Formen zwei oder noch mehr Aussagen auf einmal darzustellen versuchen. Man betrachte etwa die Dangolsheimer Madonna in Berlin: die Gewandfalten und Kräusellocken sind ein üppiger Schmuck, sie sind ausdrucksgeladen, und sie sind Bedeutungsträger, dies alles unauflösbar miteinander vermengt und zugleich virtuos inszeniert. Analoges bemerken wir, wenn wir die Bedeutung näher untersuchen; das Kind flüchtet sich vor den vorhergesehenen Schrecken der Passion in den Schutz der Mutter, und es ist doch zugleich ein verspieltes Baby. Trauer und Freude zugleich auszudrücken, scheint uns eine Unmöglichkeit, aber es war eins der erklärten Ziele der alten Meister.
            Letztlich aber tragen derartige allgemeine Überlegungen nur wenig oder gar nichts zum Verständnis der nordalpinen Kirchenbaukunst des 14. Bis 16. Jahrhunderts bei. Meine Aufforderung lautet deshalb – abgesehen von schärferer Kritik an der Architekturgeschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts: Zurück zu den Bauten selbst! Zurück zu den Quellen! Zurück zu den Fakten!
Das an Heinrich Wölfflins ‚Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen’ orientierte Konzept des „Malerischen“ erweist sich als fataler Irrweg einer modernistischen Kunstanschauung, der der Sinn für das präzise Erfassen und die konkrete Erscheinung der Form abhanden gekommen ist.[42] Man muss deshalb versuchen, sich empirisch die hermeneutische Basis für das Verständnis dieser Architektur zu schaffen.




[1] Dehio und v. Bezold, Kirchliche Baukunst, Bd. II, S. 315ff. Georg Dehio wird ziemlich polemisch, wenn er (S. 315) der damaligen Baukunst „einen unüberwindlichen Zug zur Mediokrität und Trivialität“ und (S. 318) „hausbackene Plattheit oder spitzfindige Schnörkelei ... gelegentlich etwas Protzenhaftes“ bescheinigt. Doch hat er sein Verdikt in: Dehio: Geschichte, Bd. II, S. 138ff. z.T. zurückgenommen. Befremdlich ist, warum der als Barockforscher so berühmt gewordene Cornelius Gurlitt mit seiner Arbeit: Kunst und Künstler am Vorabend der Reformation., in der er die damalige Architektur in so vielen Punkten richtiger gesehen hat als die anderen, erst recht die späteren Autoren, so wenig beachtet worden ist.
[2] Gerstenberg: Sondergotik. Widerspruch bei: Fischer; Kunst; Nussbaum, bes. S. 225ff. u. 313ff.; Binding; Philipp, S. 14.
[3] Gerstenberg, S. 4. Wölfflin war seit 1929 (!) Mitglied in Alfred Rosenbergs „Kampfbund der deutschen Kultur“; s. Neumann: Kultur in Thüringen, S. 133; Gerstenberg betätigt sich früh auch als NS-Autor (s. Gerstenberg: Riemenschneider. Auch ist nicht zu übersehen, dass einige der fanatischsten NS-Kunsthistoriker seine Schüler waren, so z.B. Alfred Stange.
[4] Gerstenberg, S. 6.
[5] Gerstenberg, S. 50.
[6] Oexle: Emigranten, S.  54f.
[7] Weilandt.
[8] Zeugnisse dafür, wie irrig die Kunsthistoriker jeweils de Baukunst der jeweiligen Nachbarländer einschätzen, , finden sich z.B. bei Sesmat.
[9] Helmberger.
[10] Bei Gurlitt, S. 95 ein Beispiel für die Mischfinanzierung eines Kirchenbaus dieser Zeit.
[11] Zur Kirche in Freiberg s. Steche, S. 14-64.– Gurlitt, S. 30ff., 73ff. u. 82ff.– Vor allem die Arbeiten von Magirius: Forschungen 1972; Hallenkirchen 1977; Der Dom zu Freiberg 1977; Sakralbauten 2002, S. 208-241. Nussbaum, bes. S. 281ff. u. 292ff.
[12] Im Osten des Langhauses ist noch ein großes Stück aufgehenden Mauerwerks erhalten, s. Magirius 2002, S. 212.
[13] Zum sächsischen Hof s. die verdienstvolle Arbeit von Streich,  die leider nur bis 1485 reicht.
[14] Magirius 2002.
[15] Nach Gurlitt, S. 64f. hatten Hallenkirchen schon immer primär den Charakter eines Predigtraumes.– Unbefriedigend ist Boockmann.
[16] Von der umfangreichen Literatur zu diesem Fragenkomplex seien nur zitiert: Schlesinger:  Kirchengeschichte;  Lobeck; Smolinsky.
[17] Über die hussitische Agitation s. Gurlitt, S. 19ff. Jan Hus selbst berichtet in seinen Briefen, die er von der Reise  zum Konstanzer Konzil an seine Anhänger daheim schrieb, wie freundlich er in Nürnberg und in anderen Städten, die er auf dem Weg besuchte, aufgenommen wurde. Seine Predigten fanden viele Zuhörer. Über hussitische Söldner in den Diensten der sächsischen Herzöge, z.B. 1448 s. Gurlitt, S. 13, S. 28 über Freiberg als Zentrum einer Gruppe von Schwärmern, die 1465 unter der Führung des Franziskaners Livinus v. Wiersberg nach Eger auswanderten und mit denen sich noch 1490 eine Provinzialsynode befasste.
[18] Gurlitt, S. 13ff. über die Wirkung der hussitischen Predigt in Sachsen s.a. Lobeck, u.a. S. 46f.
[19] Eine der ersten ist die 1426 am Dom zu Magdeburg für den berühmten Kanzelredner Hinrich Tocke eingerichtete Pfründe; s. Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon XII, 1997, Sp. 286-288.– Zu Predigtkirchen s. Gurlitt, S. 64ff.– Man verfolgte jedoch auch eine bestimmte Bildpolitik gegen die Abweichler; s. Schultes.
[20] Die Kirche hatte zum Zeitpunkt der Reformation über 40 Altäre, die den Raum füllten.
[21] Nussbaum, S. 142ff.
[22] Das Langhaus der Kirche hat noch vier weitere Türen, die meisten von ihnen recht klein und außerdem von ungeklärter Funktion, s. Magirius 1977, S. 30f.
[23] Magirius 1977, S. 34ff.; Kiesewetter, Siedel, Stuhr: Die Tulpenkanzel im Dom zu Freiberg, Dresden 1995 (Arbeitsheft Landesamt für Denkmalpflege 2).
[24] Magirius 1977, Abb. 67. In der Regel liegen sie weiter östlich oder – wenn sie primär als Öffnung für den Lastenaufzug dienen, im Turmjoch. Allgemein s. Krause und Tripps.
[25] Mrusek.- Streich, S. 461ff.
[26] Ein reines Netzgewölbe nach Prager Vorbild befindet sich im Vorchorjoch.
[27] Nussbaum, S. 257ff. u. 273ff.
[28] Kimpel u. Suckale, S. 84ff., 111 und passim; s.a. Nussbaum, S. 358, Anm. 259. Bezeichnend ist, dass der Remter des Dompropsteihauses ebenfalls mit Zellengewölben ausgestattet wurde (Hoffmann, S. 58).
[29] Werner Müller: Grundlagen gotischer Bautechnik, München 1990.
[30] Wir wissen zu wenig Genaues über die Bau- und Werkmeister, weshalb ich auf die Diskussion von Namen verzichte. Was der Bau uns verrät, ist, dass es sich um einen Schüler des Erbauers der Meißener Albrechtsburg, Arnold von Westfalen gehandelt haben muss. Vgl. Magirius 1977 (wie Anm. 5), S. 28ff.
[31] Zur Verteilung der Figuren s. den Plan bei Magirius 1977, S. 30. Allgemein s. Reudenbach; Kimpel / Suckale, S. 24, 87f. und passim)
[32] Vorbild dafür war vielleicht der Bildrzyklus in Kaiser Friedrichs III. Dom in Wiener Neustadt.
[33] Magirius 1977, S. 36ff.
[34] Dafür gibt es einige Zeugnisse seit dem 13. Jh., so etwa die zahlreichen Zitate nach den Naumburger und Meißener Figuren.
[35] Krautheimer; Kimpel / Suckale, bes. S. 58ff., 103ff.
[36] Außer in Frauenklosterkirchen, wo sie jedoch in der Regel einen anderen Platz einnehmen.
[37] Man hat nur wenige Informationen über die konkrete Nutzung von Emporen aus dieser Zeit, doch ist in der Martinskirche in Amberg erkennbar, dass sie für die ‚höheren Kreise’ reserviert waren. Lickes, Heinrich: Chorflankierende Oratorien und Herrschaftslogen des späteren Mittelalters, Diss. Tübingen 1982.

[38] Das 15. Jh. hat einige besonders steile Räume errichtet, so St. Ulrich und Afra in Augsburg oder St. Nikolai in Lüneburg, aber auch Räume von großer absoluter Höhe, wie St. Martin in Landshut.
[39] Der Hinweis auf St. Lorenz bei Nussbaum (wie Anm. 2), S. 281.
[40] Lexer Aventinus, S. 42f.; s.a. die Klage des Chemnitzer Mönches Paul Niavis bei Gurlitt (wie Anm. 1), S. 130.
[41] „Malerisch“ ist allenfalls der fließende Übergang von Licht und Schatten in den Kehlungen. Blickt man in die Gewölbeansätze, so verschatten die weit auskragenden Rippen zwar einige Gewölbezonen, treten in ihren Umrissen dadurch nur umso linearer in Erscheinung. Geradezu virtuos wird dieser Kontrast zwischen dem verschatteten Grund und den umso deutlicher vortretenden Flächen und Umrissen der vegetabilen Elemente in der Tulpenkanzel gehandhabt.
[42] „Malerisch“ ist allenfalls der fließende Übergang von Licht und Schatten in den Kehlungen. Blickt man in die Gewölbeansätze, so verschatten die weit auskragenden Rippen zwar einige Gewölbezonen, treten in ihren Umrissen dadurch nur umso linearer in Erscheinung. Geradezu virtuos wird dieser Kontrast zwischen dem verschatteten Grund und den umso deutlicher vortretenden Flächen und Umrissen der vegetabilen Elemente in der Tulpenkanzel gehandhabt.

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