[Petra Schöner u.a. (Hg.): Artium conjunctio, Aufsätze für Dieter Wuttke, 2013 (SAECULA SPIRITALIA, 245-278.]
Albrecht Dürer
war schon mit Luthers Lehren vertraut, ehe dieser durch den Thesenanschlag
gegen den Ablasshandel am 31. Oktober 1517 mit einem Schlage berühmt wurde. Er lernte
sie u.a. durch den Nürnberger Freundeskreis um Johannes Staupitz kennen,
Luthers ehemaligen Prior im Augustiner-Eremitenkloster zu Erfurt.[1]
Auch schickte ihm Kurfürst Friedrich der Weise Luthers neue Schriften zu.[2]
Zeitweise war Dürer so ausschließlich in deren Lektüre vertieft, dass der holländische
Maler Jan van Scorel, der 1519 nach Nürnberg kam, um bei ihm zu lernen, enttäuscht
weiterzog.[3]
Auch gibt es aus dieser Zeit kaum ein eindringlicheres Zeugnis für die
Anteilnahme an Luthers Schicksal als Dürers verzweifelte Klage über dessen Verschwinden
nach dem Reichstag zu Worms.[4]
Diese und andere Nachrichten belegen hinreichend Dürers Anteilnahme an der Reformationsbewegung.
Doch bis
heute ist umstritten, wie sich dies auf Dürers Kunst ausgewirkt hat. Die einen halten
ihn für einen überzeugten Protestanten, die anderen behaupten, er sei wie sein
Freund Willibald Pirckheimer in den Schoß der katholischen Kirche
zurückgekehrt.[5] Die
Vertreter der einen wie der anderen Meinung führen Werke des Meisters als
Belege für ihre These an, teilweise dieselben, so den Holzschnitt des
Abendmahls aus dem Jahre 1523, ein Bild, in dem ein Kelch auffällig isoliert
auf dem Tisch steht (Abb.6): Wer in Dürer vor allem den Protestanten sah, berief
sich auf die protestantische Forderung nach Gewährung des Laienkelchs, d.h. der
Kommunion unter beiderlei Gestalt auch für Laien bzw. auf den Streit der
Reformatoren um die Natur des Altarsakramentes. Ihre Gegner hingegen stellten fest,
dass dieses Bild in nichts von der rechtgläubigen katholischen Auffassung
abweicht, dass das Motiv des isolierten Kelches schon vor der Reformation geläufig
war und der Stich vor dem Disput um das Abendmahl entstanden ist.[6]
Auch die Deutung der beiden Tafeln mit den ‚Vier Aposteln‘ als Manifest protestantischer Gesinnung wurde
bestritten: Ernst Heidrich konnte in ihnen keine antikatholischen Motive
entdecken (Abb. 7). Im übrigen weisen die Vertreter der Auffassung, Dürer sei
ein treuer Sohn der Kirche geblieben, auf seine Marien- und Heiligenbilder und
die keineswegs nach Einführung der Reformation endende Tätigkeit für die Gegner
Luthers, wie Kardinal Albrecht von Brandenburg.[7]
Doch wer
Marien- und Heiligenbilder als ausschließlich katholisch einstuft, projiziert fälschlich
die erst nach 1530 ausgebildete Konfessionsstruktur in die Entstehungszeit der
Reformation. Dem widerspricht Martin Luthers marienfromme, im Jahre 1520
gedruckte Auslegung des Magnificat. Sie
ist ein durchaus katholischer Text: selbst die kritischen Spitzen gegen
Auswüchse der damaligen Marienfrömmigkeit würden von katholischer Seite akzeptiert
werden können. Und die von Luther verehrten „liebenn heyligenn“ standen noch
weit bis ins 17. Jahrhundert bei Lutheranern in Ansehen.[8]
Konfessionelle
Eindeutigkeit ist in der Umbruchszeit um 1520 nicht zu erwarten. Doch bleibt es
für Protestanten schwer verständlich, warum sich Dürer gerade in diesen Jahren so
ausgiebig mit Darstellungsvarianten des hl. Christophorus beschäftigt hat (Abb.
1-3), der nicht einmal ein historisch verbürgter Heiliger ist, sondern – im
Gegenteil – ein besonders apokrypher: Seine Legende und riesenhafte Gestalt
gehören dem Reich der Sage an, und sein Kult als Schutzheiliger vor einem
plötzlichen Tod ohne Sakramentenempfang hat abergläubische Züge. Erasmus hat
sich über seine Verehrer in den ΜΩΡΙΑΣ
ΕΓΚΩΜΙΟΝ sive laus
stultitiae‘ (Lob der Torheit) lustig gemacht und mit ihm sein Illustrator
Hans Holbein d.J.[9] Doch
Dürer übernahm diese Meinung des ihm sonst so wichtigen Gelehrten nicht.[10]
Lässt sich
eine Erklärung finden? Ich meine ja! Hierzu bedarf es jedoch der Einbeziehung
aller Aspekte von Dürers Kunst. Ehe wir auf diesem Wege weitergehen, muss man sich
klar machen, dass die Hauptbeschäftigung des Künstlers in den Jahren der
beginnenden Reformation die Abfassung seiner Schriften zur Kunst der Messung,
zur Proportion und zur Kunsttheorie war.[11]
Man hat also die Bilder dieser Jahre immer auch daraufhin zu befragen, in welchem
Verhältnis sie zu Dürers theoretischen Überlegungen stehen.
Die Aufreihung
von neun verschiedenen Christophorusfiguren im Berliner Blatt von 1521 bleibt
zunächst rätselhaft. Hinzu kommen aus dieser Zeit noch zwei Stiche und drei
Zeichnungen desselben Themas (Abb. 2, 3) [12]
und „4 Christoffel auff graw papir“, die Dürer laut eigener Aussage in
Antwerpen im Jahre 1521 für den Landschaftsmaler Joachim Patinier gezeichnet hat. [13]
Von anderen Heiligen gibt es von Dürer aus dieser Zeit kaum ein Bild. Es ist also
nicht übergroße Nachfrage oder Treue zur katholischen Kirche gewesen, die den
Künstler veranlasst haben, so viele Bilder desselben Heiligen anzufertigen, zumal
man damals Christophorusdarstellungen an jeder Straßenecke und in beinahe jedem
Haus sah.[14] Es gibt
keinerlei Hinweise auf eine Steigerung seines Kultes in diesen Jahren; eher
trifft das Gegenteil zu (s.o.).
Stutzig
machen sollte, dass Dürer für die Graphiken nicht, wie bei Andachtsbildern
sonst üblich – und wie bei seinen älteren Christophorusbildern – das billigere und
schlichtere Medium des Holzschnitts wählte, sondern den feineren – und zudem
eigenhändigen – Kupferstich, den er für seine intellektuell anspruchsvollsten Erfindungen
bevorzugte.[15] Der
Lösung des Rätsels näher bringt uns die Beobachtung, dass es in der
Kunstgeschichte einige vergleichbare Bildreihen gibt; am bekanntesten ist wohl die
Folge von Radierungen Gian Domenico Tiepolos zum Thema der Flucht nach Ägypten.[16]
Es handelt sich um eine dem musikalischen Typus der Fuge vergleichbare Demonstration
des Einfallsreichtums und der Erfindungskraft des Künstlers. Gefördert wurde diese
Einstellung durch die seit Augustinus‘ christlicher Rhetoriklehre De doctrina Christiana wachsende Bedeutung
der Erfindung (inventio).[17]
Mit der
Rhetorik haben sich Dürer, Pirckheimer und ihr Freundeskreis ausgiebig befasst.[18]
Mir scheint Insbesondere eine Schrift des Erasmus, De duplici copia verborum et rerum, von Bedeutung zu sein.[19]
In ihr zeigt er, welche Fülle von Ausdrucksweisen der Redner zur Verfügung hat und
wie er seine Rede bereichern und variieren kann. Dürer war durch Pirckheimer
mit Erasmus‘ Lehren wohlvertraut. Die Anregung, die von diesem Buch ausging, lag
jedoch nicht im Was, sondern im Wie. Dürers Christophorus-Blätter sind als bildliches Exerzitium zu diesem Text zu
deuten.
Dürer hat über
die gottähnliche künstlerische Schöpferkraft gesagt: “Dan ein guter maler ist jndwendig voller vigur“.[20]
Man könnte diesen Satz als Unterschrift für das Berliner Blatt nehmen. Sein Ziel
war, die große Zahl der Darstellungsmöglichkeiten des Heiligen zu zeigen und
zugleich die Fülle von Bildern, die der Phantasie des Künstlers entströmen –
denn nach der Natur sind sie nicht gearbeitet.
Das
Christophorus-Thema eignete sich dafür besonders gut, weil der Heilige eine
sich bewegende und zugleich eine innerlich bewegte Person ist: Die Legende
schildert ihn als einen Riesen mit außerordentlichen Kräften, der an einem
Fluss lebte und dort Leute, die den Strom überqueren wollten, ohne Lohn zu Ehren
Christi auf den Schultern von einem Ufer zum anderen trug.[21]
Einmal wurde er mitten in der Nacht von einem Kind gerufen, er solle es hinüber
tragen. Je weiter der Träger vorankam, desto schwerer wurde das Kind, und das Wasser
begann immer mehr zu steigen, so dass Christoph die größten Mühen hatte und
meinte, die Last der ganzen Welt auf den Schultern tragen zu müssen. Als er sich
zu ängstigen begann, offenbarte sich ihm das Kind als Christus und Schöpfer des
Universums.
Bei
genauerer Untersuchung des Berliner Blattes reduziert sich die Vielfalt der
Erfindungen: Figur 1 und 3 in der oberen Reihe sind teilweise gespiegelt,
ebenso Figur 7 und 8 in der unteren; das Gehmotiv der Figur 1 wird in der
Londoner Zeichnung (Winkler 801) aufgegriffen. Der Stich Abb. 2 und die Figur 8
in der unteren Reihe sind nah verwandt. Es handelt sich keineswegs nur um
Variationen der Form, sondern auch des Themas: Figur 1 und 3 stellen vor allem
die entschlossen ausgreifende Bewegung dar, also das Aktive, Figur 6 und 9
hingegen die Mühsal des Tragens, d.h. das Passive. An der 6. Figur ist
ungewöhnlich, dass der Träger sich mit einem Arm auf das Knie stützt. Noch
bemerkenswerter ist die 9., am flüchtigsten skizzierte, wohl erst nachträglich
eingefügte Gestalt: Ihre Beine sind gespreizt, der Körper geknickt, der rechte
Arm weit ausgreifend und einen Halt suchend, der Kopf hilfesuchend nach oben
gedreht. Diese Haltung geht auf eine antike Pathosformel zurück, den sog. Sterbenden Gallier, die der Künstler
bereits 1494 in seiner Zeichnung Der Tod
des Orpheus verarbeitet hatte.[22]
Sie bezeugt Dürers beständigen Dialog mit den italienischen Meistern und ihren antiken
Vorbildern.
Auch die beiden
gleich großen Kupferstiche sind unterschiedlich aufgefasst: Der Stich Abb.2 ist
in stärkerem Maße eine Erzählung: Er stellt dar, wie der Heilige kräftig
ausschreitet, dabei seinen Stab mit Energie nach vorne setzt, so dass auch der
Umhang schwungvoll nach vorne fliegt – er zeigt ihn als energisch und entschlossen
losmarschiernden Christusträger. Der andere Stich betont, wie der Heilige unter
der Last leidet und kaum voran kommt. Deutlich sind die angespannten Muskeln der
Beine und der kräftige Griff der Hände zu sehen, den Baumstamm braucht er nur zur
Stützung. Der Rücken knickt ein. Deshalb fliegen auch keine Gewandzipfel auf.
Fragend blickt er zum Christuskind empor, das tröstend und segnend die Rechte
auf seine Stirn legt. Der voranschreitende Christoph – wohl das zuerst entstandene
Blatt – erzählt eher das Ereignis der Flussüberquerung, das jüngere Bild stellt
eher den Heiligen als Vorbild des Glaubens vor: Das Christuskind und sein Träger
sind in die Mitte gerückt und eher statisch gegeben – wie bei Heiligenbildern üblich
– der für eine Erzählung relevante Einsiedler, der am Ufer mit seiner Fackel die
Szene beleuchtet, und viele Einzelheiten sind weggelassen. Das vordere Ufer ist
gar nicht angegeben, die Landschaft vereinfacht und der Horizont tiefer gelegt,
so dass der Heilige ihn stärker überragt und auf diese Weise monumentaler und
zugleich sakraler wirkt. Vor allem ist die Figur einfacher gestaltet; dies wird
u.a. am Ärmel erkennbar, der das Antlitz des Riesen und das Kind zusammenschließt.
Diese Bilder
haben anscheinend nichts mit der Reformation zu tun. Doch fallen der Ernst und
die Einfachheit der Form als etwas bei Dürer Neues auf. Zu fragen ist, ob sich
Analoges zu dieser Zeit auch bei Bildern anderer Thematik nachweisen lässt?
xxx
Bildwerke
und Bilder Mariens waren immer schon Gegenstand innigster Verehrung. seit dem
12. Jahrhundert wurden sie Träger einer zunehmenden Fülle von theologischen
Aussagen: Mit Hilfe der Darstellung von Körper und Gewandung, Gesten und
Haltung, Gesichtsausdruck und Farben, Schmuckstücken und anderen Accessoires, Inschriften
und Symbolen wurde zum Ausdruck gebracht, dass Maria in paradoxer, kaum zu verstehender
Weise zugleich Jungfrau und Mutter, Geschöpf Gottes und Gottesmutter ist, die
neue Eva, aber von aller Sündenschuld von Anfang an frei, Miterlöserin der Menschheit
durch das Übermaß ihres Miterleidens, allzeit unbefleckte Königin des Himmels
und der Engel, einzigartig und seit der Schöpfung auserwählt in ihrer Rolle als
Fürbitterin der Menschheit, und doch nur Ehefrau des einfachen Zimmermanns Josef
von Nazareth, sich selbst erniedrigend als Magd zu allen Diensten im Alltag
eines Handwerkers und doch beständig in der Kontemplation Gottes verweilend, überaus
schön und weise, der demütigste und tugendreichste Mensch der Welt usw.[23]
Dürer hat
sehr viele Marienbilder geschaffen. Schon seine allerersten Zeichnungen
demonstrieren, dass er eine Vielfalt von Bedeutungen in einem Bild unterzubringen
vermochte.[24] In den
ersten Jahren seiner Meisterschaft schuf er Zeichnungen, wie ‚Maria mit den
vielen Tieren‘, und Tafelgemälde, wie das Rosenkranzbild in der Prager
Nationalgalerie, die an Bedeutungsfülle kaum zu überbieten sind.[25]
Doch finden sich daneben von Anfang an auch einfachere, meist kleinformatige
Stiche dieses Themas sowie Tafeln von ikonenhafter Verknappung.
Auch bei
diesem Thema lässt sich um 1519 ein Wandel feststellen. Aus dem Jahre 1518 stammen
der Kupferstich SMS [Anm. 1] I, Nr. 84[26]
und der Holzschnitt SMS II, Nr. 248 - bei beiden wird Maria von Engeln bekrönt (Abb.4).
Im Jahre 1519 entstand der Kupferstich SMS I, Nr. 86 mit der ihr Kind
stillenden Maria (Abb.5), im Jahre 1520 die Stiche SMS I, Nr. 91 und 92. Zu
erwähnen sind noch die 1521 einsetzenden Studien für eine große Marientafel
nach Art einer italienischen sacra
conversazione, die jedoch nie über das Stadium einzelner Naturstudien
hinausgelangte.[27] Aus den
letzten sieben Jahren seines Lebens ist kein Bild der Muttergottes mit dem Kind
von Dürer erhalten.
Die drei jüngeren
Stiche von 1519 und 1520 hat der Künstler auf der niederländischen Reise als „die drei neuen Marien“ erwähnt und
zusammen weggegeben.[28]
Offenbar wollte er wie bei den Christophorusblättern seine Kunst und das heißt
vor allem seine Erfindungskraft demonstrieren. Hingegen wird das Blatt von 1518
in seinem Tagebuch bzw. anderenorts nie erwähnt, obwohl es der populärste
seiner Marien-Stiche war, wie die 13 bisher nachgewiesenen Nachstiche bezeugen.
Offenbar entsprach es schon bald nach der Vollendung nicht mehr seinen
Vorstellungen.
Vergleicht
man die Stiche von 1518 und 1519 (Abb. 4, 5), so überrascht das Ausmaß der
Unterschiede: Im älteren Blatt ist die Muttergottes in eine Welt-Landschaft
gesetzt, als Hinweis auf ihre Qualität als Königin des Himmels und der Engel, was
durch den kronenhaltenden Engel über ihr noch verdeutlicht wird.[29]
Der geflochtene Zaun und die Rasenbank verweisen auf den hortus conclusus (Cant 4,12), d.h. den beschlossenen Garten als Sinnbild der unverletzten Jungfräulichkeit
der Gottesbraut und Maria. Dieser Garten ist angefüllt mit Marienblumen und
–tieren, zudem mit anderen bedeutsamen Motiven und Baulichkeiten, die sich in
der Regel auf die zahllosen Ehrentitel Mariens beziehen, wie sie u.a. in der
Lauretanischen Litanei kodifiziert sind.[30]
Die Gottesmutter hat als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit ungebundenes langes
Haar, als das ihrer mystischen Brautschaft mit Christus eine Brautkrone. Der
Apfel in ihrer rechten Hand kennzeichnet sie als Neue Eva und Miterlöserin. Die
Tracht ist jedoch die einer verheirateten Frau; das Kind greift ihr in den Ausschnitt,
um an die Mutterbrust zu gelangen, was als Hinweis auf die Zwei Naturen Christi
verstanden wurde. Maria zeigt vorahnungsvoll auf den Fuß ihres Sohnes, der dereinst
von einem Nagel durchbohrt werden wird; deshalb auch ihr trauriger Gesichtsausdruck.[31]
Gegenüber
dieser Fülle thematischer Aspekte nimmt sich das jüngere Marienbild (Abb.5) geradezu
bedeutungsarm aus. Keins der sinnbefrachteten Motive des älteren Stiches ist
aufgegriffen. Das landschaftliche Rahmenwerk ist fast verschwunden; nur die
Rasenbank ist geblieben, doch so reduziert, dass man sie kaum noch als Teil
eines hortus conclusus erkennt,
sondern nur als schlichte Sitzgelegenheit. Hier sieht man weder die Königin des
Himmels, noch die Neue Eva, auch keinerlei Andeutung einer Vorahnung der Passion,
sondern nur Maria als die demütige Magd des Herrn, als die sie sich im Magnificat bezeichnet (Lc 1,48). Es
bedarf der beiden Nimben, um die Mutter und ihr Kind als Maria und das
Jesuskind zu erkennen. Dürer versucht gar nicht erst, die Paradoxien der Mariologie
darzustellen, sondern entschließt sich zu einer radikalen Vereinfachung.
Was die Figur an Bedeutungen verloren hat, hat sie an Wärme und menschlicher
Nähe gewonnen.
Maria präsentiert
weder sich noch ihren Sohn dem Betrachter, sondern ist ganz ihrem Kind
zugewandt, auf das Stillen konzentriert: Im älteren Stich sind Mutter und Kind in
traditioneller Weise im Halbprofil dargestellt; d.h. sie wenden sich sowohl
einander wie dem Betrachter zu, wodurch jedoch die ungeteilte Aufmerksamkeit
der beiden füreinander gestört wird und obendrein ein unnatürliches Verhältnis
von Mutter und Kind entsteht, aber auch der Betrachter nur eine geteilte
Zuwendung erfährt: Denn im wirklichen Leben schauen Mütter und Kinder einander
an, oder sie wenden sich beide (bzw. einer allein) dem Gegenüber zu. Die vor
allem in der gotischen Kunst beinahe zur Norm gewordene Bildkonvention des Halb-
bzw. Drei-Viertel-Profils[32]
wird von Dürer in diesem und anderen Bildern aufgegeben – dem Anschein nach nur
ein kleines Detail, in Wirklichkeit aber eine grundsätzliche Veränderung des
Verhältnisses von Bild und Betrachter – die Distanz zwischen beiden wird
stärker.[33] Dieser
Wandel der Bildauffassung ist in seiner Tragweite in der Dürer-Literatur bisher
nicht angemessen gewürdigt worden.
xxx
Die
Forderung nach Rückkehr zur Einfachheit erhob als erster Erasmus von Rotterdam.[34]
In seiner im Jahre 1518 erschienenen Methodenlehre zur Auslegung der Hl.
Schrift, die schnell Aufsehen erregte und zu heftigen Reaktionen seitens der
Scholastiker und der Bettelorden führte, beklagt er die Spitzfindigkeit der scholastischen
Bibelausleger, ihre weithergeholten Argumente, ihren Schwulst, und er setzt ihnen
in knapper Diktion die These entgegen: “…
die Redeweise der Wahrheit [ist] einfach. Nichts aber ist einfacher und wahrer
als Christus.“[35]
Luther hat
die Ideen des Erasmus radikalisiert. Er gelangte zur Überzeugung, dass die Kirchengeschichte
nichts anderes sei als eine Geschichte unautorisierter Zufügungen der
Papstkirche, ja der teuflischen Verfälschung der ursprünglichen Wahrheit .[36]
Die Reformatoren wollten die Einfachheit und Schlichtheit des frühen
Christentums wiedergewinnen; sie wandten sich vom weltlichen Prunk der
Papstkirche ab und ihrer Verformung der Religion durch das Kirchenrecht.[37]
Hierin
treffen sich Luther und Dürer: Denn auch Dürer war überzeugt, dass die Griechen
und Römer der Antike bereits die hohe Kunst praktisch wie theoretisch beherrscht
hätten, dass dies Wissen und Können aber verloren gegangen sei, bis sie in
Italien seit Giotto ‚wiedererwachsen‘ seien:
„In was eren und wirden
aber dise künst bey den Kriechen und Römern gewest ist, zeygen die alten bücher
gnugsam an. Wiewoll sie nachfolgent gar verloren und ob tausend jaren verborgen
gewest und erst in zweyhundert jaren wider durch die Walhen an tag gebracht ist
worden. Dann gar leychtiglich verlieren sich die künst, aber schwerlich und
durch lange zeyt werden sie wider erfunden.[38]
Deshalb fiel
es ihm nicht schwer, sich Luthers These anzuschließen, dass die ursprüngliche
Einfachheit und Schlichtheit der apostolischen Zeit verloren gegangen sei und das
Wort Gottes durch Zusätze der Theologen verfälscht wurde. Deshalb machte er die
radikale Vereinfachung sowie das Entfernen aller unnatürlichen und
überflüssigen Formen und Farben aus der Kunst zur Maxime. Willibald Pirckheimer
hat dies in der Gedächtnisinschrift, die er in seiner Bibliothek nach dem Tode
des Freundes anbrachte, deutlich ausgedrückt: „[Dürer], qui … rem pictoriam … ad severitatem restrinxit (der die Malerei zur
Strenge zurückführte).“[39]
Der Stilwechsel Dürers erklärt sich also nicht aus einer neuen Thematik, ebenso
wenig aus neuen Formstudien. Vielmehr ist er als Gesinnungswandel zu bezeichnen.
xxx
In seinem Traktat
Von der heiligen Messe (1520) schreibt
Luther über die Einsetzung des Messopfers durch Christus:
„Dan do Christus selbst
- und am ersten – diß sacrament einsetzt unnd die ersten meß hielt und übet, da
war keyn platten, kein casell, kein singen, kein prangen, ßondern allein
dancksagung gottis und des sacraments prauch. Derselben einfeltickeit nach
hielten die Apostel und alle Christen meß ein lang tzeyt. Biß das sich erhuben
die mancherley weyßen und zusetze, das anders die Romischen, anders die
Kriechen meß hielten… woellen wir recht meß halten und verstahn, ßo mussen wir
alles faren lassen, was die augen und alle synn in dißem handel mugen zeygen
und antragen, es sey kleyd, klang, gesang, tzierd, gepett, tragen, heben, legen
oder waß Da geschehen mag yn der meß…“[40]
Diesen
Forderungen entspricht Dürers Holzschnitt des Abendmahls von 1523 (Abb.6).[41]
Im kahlen Raum ist nichts überflüssig. Alles, was im Bilde zu sehen ist, hat Bedeutung.
Dürer setzt sich von der traditionellen Ikonographie ab. Anders als die älteren
Künstler hält er sich auffällig genau an die Schilderung des
Johannes-Evangeliums (Io 13-17).[42]
Dort wird berichtet, dass Jesus zuerst zum Zeichen seiner Demut den Jüngern die
Füße wusch (Io 13,5-12). Dies wird durch die große, flache Schale auf dem
Fußboden angedeutet. Einige Forscher sehen in ihr die Schüssel, auf der
das Passah-Lamm serviert worden sei; doch stellen Jean Wirth und Pierre Vaisse
zu Recht fest: „on aurait de la peine à
trouver une représentation de la Cène où l’on aurait dégarni la table en posant
un plat par terre, avec ou sans restes de la viande.“[43]
Auf die
Fußwaschung folgt das Passah-Mahl und die Ankündigung des Verrats (Io 13,
21-31). Das wird im Bild durch die Abwesenheit des Judas Ischariot dargestellt,
der den Saal verließ, nachdem ihn Jesus durch Überreichung des in Wein getauchten
Bissens als Verräter gekennzeichnet hatte (Io 13,26-31). Dass die Mahlzeit
vorbei ist, sieht man auch daran, dass ein Jünger links noch seinen Teller in
der Hand hält und sein Nachbar gedankenverloren mit dem Messer Krümel vom Tisch
aufpickt. Die optische Präsenz des Kelches und des auf dem Boden abgestellten
Brotkorbs sowie der Weinkanne legen jedoch nahe, in ihnen auch Hinweise auf Brot
und Wein des Altarsakraments zu sehen. Doch das eigentliche Thema des Bildes
sind die Abschiedsreden Jesu, deren dunkle Andeutungen über die Zukunft die
Jünger beunruhigten und einige sogar veranlassten, nachzufragen. Deshalb liegt
der Fluchtpunkt der auffällig inszenierten zentralperspektivischen Konstruktion
im Arm Christi, den er im Redegestus ausgestreckt hat. Die heftige Bewegung
Petri ist wohl als Reaktion auf Christi Aussage zu verstehen, er werde ihn
dreimal verleugnen, bevor der Hahn gekräht habe (Io 13,38).
Das Abendmahl Leonardos im Refektorium von S. Maria delle Grazie in
Mailand aus den Jahren 1495-1497 wird zwar im Holzschnitt Dürers zitiert,[44]
doch ist weder die Ankündigung des Verrats dargestellt , nochdie daraufhin
losbrechende Erregung der Apostel. Dürer hat für sein Thema Leonardos Pathos
gedämpft. Er hat den Raum verkleinert, die Gruppen zusammengedrängt sowie das
Format geändert. Es war ihm wichtig, Johannes, den Lieblingsjünger, an der
Brust seines Meisters ruhend zu zeigen (Io 13,23). Der tiefere Sinn des Blattes
ist die Aufforderung an den Betrachter, sich das Wort Gottes zu Herzen zu
nehmen.
Demnach ist
es nicht richtig, die Inszenierung des Kelches auf den damals unter den Reformatoren
ausbrechenden Streit über das Wesen und die Natur des Altarsakraments bzw. auf
die Diskussion um die Gewährung des Laienkelches zu beziehen.[45]
Es entsprach nicht der Denkweise Dürers, in seinen Bildern zu Fragen der Tagespolitik
Stellung zu nehmen: Es ist nicht sicher, dass der Kelch der Eucharistie gemeint
ist, da im Johannes-Evangelium das Ereignis der Einsetzung des Altarsakraments überhaupt
nicht erwähnt wird. Man kann ihn am besten als das Weingefäß deuten, in das
Jesus den Bissen für Judas getaucht hat (Io 13,26).[46]
Dafür spricht, dass in der Wiener Zeichnung des Abendmahls von 1523, einem
ersten Versuch, das Thema neu zu fassen, ebenfalls ein einzelner Kelch zu sehen
ist, hier in eindeutiger Verbindung mit der Mahlzeit, noch bevor Judas den Raum
verlassen hat.[47]
Der
Holzschnitt des Abendmahls ist also keine ikonographische Neuerung im
reformatorischen Sinne. Wohl aber ist seine Einfachheit, seine Konzentration
auf das Wesentliche und die strikte Befolgung der Schilderung des Ereignisses
im Johannes-Evangelium ein Zeugnis seiner von der neuen Bedeutung des
Bibelstudiums geprägten religiösen und künstlerischen Gesinnung.
xxx
Im
Entstehungsjahr des Abendmahls begannen die Vorarbeiten zu den beiden Tafeln
der Vier Apostel (Abb. 7-9), die Dürer im Jahre 1426 vollendete und dem
Nürnberger Rat schenkte. Die Menge an Literatur zu diesem Werk ist nur der zum
Meisterstich der ‚Melencolia I‘ vergleichbar.[48]
Doch bleiben noch einige Punkte offen: Man hat oft spekuliert, ob nicht die
beiden Tafeln Überbleibsel eines unvollendeten Triptychon-Projektes seien.[49]
Doch sind schon die Tafeln mit Adam und Eva von 1507 zweiflügelig, ohne dass die
Rekonstruktion einer verlorenen Mitteltafel zu begründen wäre. Anscheinend ist bisher
noch nicht aufgefallen, dass es sich um einen eigenen Diptychon-Typus handelt: Beispiele
dafür sind Rogier van der Weydens große, dreifigurige Kreuzigung in der John G.
Johnson Collection im Philadelphia Museum of Art und die Marter des Sebastian von
einem an Baldung orientierten oberrheinischen Meister um 1510 in der Berliner
Gemäldegalerie.[50] Ziel
war, die Einzelfigur zu isolieren und zu monumentalisieren, um dadurch die Spannung
zwischen beiden Flügeln und die Wirkung auf den Betrachter zu steigern. Dürer
dürfte diesen Typus von Doppeltafel in den Niederlanden kennengelernt haben.
Die
ungemusterten schwarzen Hintergründe waren in der Nürnberger – und zuvor in der
niederländischen Tradition – Außenseiten von Flügelretabeln vorbehalten, finden
sich aber auch bei Porträts.[51]
Dies spricht aber nicht für die These, dass es sich um die Flügelrückseiten
eines aufgegebenen Altarretabels handele. Vielmehr hat Dürer bei der Suche nach
dem neuen Einfachen Stil, dem stilus humilis der Lehre von den genera dicendi bzw. Stillagen, sich an
der Ausstattung der einfachsten Teile von Altarretabeln orientiert.
Dürers
Verhältnis zur Rhetorik, insbesondere zur Lehre von den Stillagen, wurde bisher
noch nicht angemessen untersucht. Man hat nicht einmal bemerkt, dass sich der
Maler in seinen Vorarbeiten für eine Theorie der Malkunst explizit auf sie
bezieht.[52] Auch
dürfte dem italienbegeisterten Künstler nicht entgangen sein, dass die dortigen
Humanisten wie Enea Silvio Piccolomini oder Leone Battista Alberti den Malern
empfehlen, die Rhetorik zu studieren.[53]
Ähnliche Empfehlungen spricht Erasmus aus.
Eine
Schwierigkeit entstand daraus, dass es in den Bildenden Künsten nur Äquivalenzen
für die Begriffe und die Praxis der Rhetorik geben kann. Außerdem wurde der
Stillagenbegriff nicht nur innerhalb eines Werkkomplexes gebraucht, sondern auch
zur Charakterisierung des persönlichen Stils. So hat Philipp Melanchthon Dürer
dem Hohen bzw. Großen Stil (stilus grande bzw. grandiloquus) zugeordnet.[54]
Verglichen mit dem Aufwand seiner älteren Tafelgemälde sind sie in einem
äußerst einfachen Stil gehalten; bezogen auf die Definitionen der
Stillagen-Lehre hingegen wird man die monumentalen und machtvollen Figuren dem Großen Stil zuordnen müssen. Das
Stillagenkonzept führt uns also – genau besehen – im Verständnis von Dürers
Vier Aposteln kaum weiter.[55]
Was Dürer anstrebte, war weniger die Umsetzung der rhetorischen Lehre, sondern
die Erneuerung der verlorenen Einfachheit. Viele Jahre nach Dürers Tod
berichtet Melanchthon von einem Geständnis, das dieser ihm gemacht habe: “Früher habe er die bunten und
vielgestaltigen Bilder am liebsten gehabt … jetzt habe er erkannt, dass die
Einfachheit der höchste Ruhm der Kunst sei.[56]
David Price
hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Meister in seiner Auswahl der Apostel
sich von Luthers Hervorhebung von Johannes und Paulus in der Einleitung zum
sog. September-Testament hat inspirieren lassen.[57]
Auch war es gewiss Absicht, die Zahl Vier bei der Festlegung der darzustellenden
Personenzahl zu wählen: sie gilt seit den Pythagoräern als eine der
vollkommensten Zahlen. Sie war schon Hauptthema in Dürers Titelholzschnitt für
die Philosophia des Conrad Celtis,
der auch die vier Temperamente darstellt, auf die noch einzugehen ist.[58]
Johannes und
Paulus repräsentieren jeweils einen anderen Menschentypus: Johannes den warmherzigen
jungen Mann, der bemüht ist, die tiefen Geheimnisse des Gotteswortes
aufzusaugen, Paulus hingegen den überzeugungsfesten, kühlen Kopf, nicht ohne dämonische Züge.
Johannes ist in schwungvollem Kontrapost gezeigt, überbordend und expansiv,
Paulus vor allem standfest. Der in warmem Rot gehaltene, durch das
komplementäre Grün in seiner Wirkung noch gesteigerte Mantel des Johannes ist weich
und ausgreifend, der kalt-graue des Paulus ist teils knittrig, teils von
säulenartiger Struktur, als wäre er aus Stein gehauen.[59]
Dürer ist
als Maler und Empiriker leidenschaftlich an der Erfassung und Erforschung der
Wirklichkeit interessiert, vor allem der des Menschen, und das heißt für ihn:
des Individuums. Da die tradierten Aposteltypen letztlich auf die antiken griechischen
Philosophenbildnisse zurückzuführen sind, konnten sie für ihn höchstens Ausgangspunkt
der Gestaltung sein. Sollten die Apostel überzeugen, mussten sie als echte Menschen
auftreten. Deshalb suchte er nach Leuten, die seiner Vorstellung vom
Erscheinungsbild der darzustellenden Person entsprachen und schuf Porträtstudien
von ihnen, um daraus das ‚richtige‘ Antlitz zu formen: So entstanden Bildnisse,
die seinen Anspruch auf Wirklichkeitstreue erfüllten. (Abb. 8, 9) Wie weit der
Abstand zum ausgeführten Bild war, wie groß also die Transformation, lässt sich
an der Vorzeichnung zum Paulus ermessen:[60]
Verglichen mit der Energie und dem gefährlich flammenden Blick des Apostels wirkt
der Kopf der Zeichnung vom Altern geprägt, mürrisch und kraftlos. Auffällig
ist, wie sehr sich Dürer in sein Gegenüber hineinversetzt und bei jedem Thema
jeweils ein anderer Maler wird: die Strichführung seines Pinsels und seines Stiftes
bei dem Choleriker hat etwas Heftiges, dem cholerischen Temperament Adäquates,
während die Zeichnung des Modells für Paulus gleichmäßig und bedächtig ausgeführt
worden ist. Bezeichnend ist die Wahl eines erheblich kleineren Papierformates,
das erst später durch Anstückung auf die Größe des anderen Kopfes gebracht
wurde.
Bei der Gestaltung
dieser Köpfe ließ sich Dürer also von der Temperamentenlehre leiten (Abb. 8, 9):[61]
Der als Vorbild für Markus gewählte Mann muss sehr lebhaft gewesen sein; Dürer
hat seine Leidenschaftlichkeit durch das Hochrecken des Hauptes, den geöffneten
Mund, die aufgerissenen Augen und die quirligen Locken noch gesteigert. Bei der
Ausführung des Gemäldes wurden daraus zornige, löwenhafte Züge. Darin folgte er
der Ikonographie dieses Evangelisten, dessen Charakter schon zuvor von Andrea
Mantegna und anderen oberitalienischen Künstlern mit seinem Symboltier, dem
Löwen, in Verbindung gebracht worden war: Sein Antlitz wurde zur facies leonis, zum Löwengesicht, dem Halbgott Herkules vergleichbar, bei
dem seit der Antike das Löwenhafte betont wurde. Die Wesensverwandtschaft der
Menschen mit Tieren ist eine der Grundanschauungen der damals in verstärktem
Maße rezipierten antiken Physiognomonik.[62]
Dass die Vier
Apostel die Temperamentenlehre thematisieren, wurde und wird nur ungern angenommen,
ist aber durch die Aussage Johann Neudörfers gesichert, wonach man in den vier Männern
„eigentlich einen sanguinicum,
cholericum, melancolicum und phlegmaticum erkennen mag.“ Die Gegner dieser
Interpretation fußen fast alle auf Heinrich Wölfflin, zuletzt noch Leuker.[63]
Doch hat man bisher aus der branchenüblichen Sorglosigkeit in philologischen
Fragen nicht nach dem ursprünglichen Wortsinn des Satzes gefragt, hat also die
Aussage als ‚vielleicht‘ und ‚möglicherweise‘, d.h. konjunktivisch gedeutet –
gemäß dem gegenwärtigen Sprachgebrauch. Doch ist nach Grimms Wörterbuch der
Satz so zu verstehen: „dass man mit Gewissheit
einen Sanguiniker … erkennen kann.“[64]
Das aber ist nicht mehr so leicht hinweg zu interpretieren. Panofsky, Saxl und
Klibansky haben zudem eine Fülle von Material zu Dürers Auseinandersetzung mit
dieser Lehre ausgebreitet.[65]
Die Belege sind zahlreich. So schreibt Dürer in seinem um 1508 konzipierten
Entwurf zum Lehrbuch der Malerei: „Item
wir haben mencherley gestalt der menschen ursach der fir camplexen.“[66]
Der Unterschied der Menschen in Körperbau, Gestalt und Charakter sei demnach
durch die verschiedene Mischung der vier Grundsäfte zu erklären, d.h. Blut (sanguis) – von daher der Sanguiniker –
Galle (chole) – deshalb der
Choleriker –, schwarze Galle (melan chole),
die beim Melancholiker dominiert) und phlegma,
das den Menschen zum Phlegmatiker macht. Dürer war überzeugt, dass man durch
Messen feststellen könne, welcher der vier Grundtypen bei einem Menschen
überwiege. Man könne ebenso die gewonnenen Maße benutzen, um etwa die Figur
eines Cholerikers zu konzipieren. Demnach ist die Kenntnis der Temperamente
wesentlich für das Verständnis des Körperbaus und Charakters jedes Menschen,
aber auch für seine Darstellung durch den Künstler.
Man hat
wiederholt danach gefragt, warum Dürer den Markus ausgewählt hat bzw. auf wen
er eigentlich mit seinem Zitat aus dem Markus-Evangelium, Kap. 12,38-40 zielte:
„Vnnd er leret sie vnd sprach Zu Jnen:
habt acht auff die schrifftgelertten. Die gehen gern Jn lanngen kleidern. Vnnd
lassen sich gern grussen auff dem marckt. Vnnd sitzen gern obenan in den
schulen vnnd vber tisch. Sie fressen der witwen heuser, vnnd wenden langs gepet
fur. Dieselben werden dester mer verdamnus empfahen.“ Die Bettelmönche können es kaum gewesen sei, denn die waren seit
1525 aus der Stadt vertrieben. Auf die damaligen Nürnberger Sektierer kann der
Satz auch kaum gemünzt sein. Zu überlegen ist vielmehr, ob die Aufnahme des
Markus in die Vierergruppe nicht eher durch seine Eignung, als Choleriker zu
figurieren, bestimmt war. Es ist sogar zu fragen, ob nicht überhaupt die Wahl
von vier biblischen Zeugen für die beiden Tafeln vor allem durch die Vierzahl
der Temperamente veranlasst wurde. Damit aber wird die Temperamentenlehre zu
einem Hauptthema der Tafeln, gleichberechtigt mit der religiösen Aussage. Im
übrigen hat Dürer mit den Vier Aposteln auch vier Lebensalter des Mannes dargestellt:
Johannes mit etwa 20, Markus mit 35, Paulus mit 50 und Petrus mit 65 Jahren. Es
ergeben sich außerdem Bezüge zu den vier Himmelsrichtungen, den vier Tages- und
Jahreszeiten, den vier Evangelien, Großen Propheten usw. [67]
Obwohl uns heute diese Lehren genauso wie die Astrologie, die Physiognomonik
und andere damals eifrig studierten Wissenschaften als antiquiert, wenn nicht
gar als Hokuspokus erscheinen, besteht kein Grund, ihre Wertschätzung als
Wissenschaften in den Jahrzehnten um 1500 zu leugnen; vielmehr sind sie zum
besseren Verständnis der Kunstwerke genau zu studieren. Denn Kunst und Wissenschaft galten als Geschwister.
Es ging dem
Maler also mit dem Geschenk der Vier Apostel an den Nürnberger Rat keineswegs
nur um die Memoria des Künstlers und sein religiöses Manifest, sondern er
wollte zugleich eine allgemeine, anthropologische und kunsttheoretische Botschaft vermitteln: Die
Bilder sollten als Vorbild für eine am wissenschaftlichen Studium der Natur, vor
allem des Menschen, ausgerichtete Kunst verstanden werden und zugleich als Exempel ihrer theoretischen Fundierung.
Die
Beobachtungen an den Aposteltafeln werden bestätigt durch die beiden ebenfalls
1526 vollendeten Porträts der Nürnberger Patrizier Hieronymus Holzschuher und Jakob
Muffel in der Berliner Gemäldegalerie (Abb. 10, 11).[68]
Muffel hat eine dem Paulus vergleichbare, dunkel–rotviolette Gesichtsfarbe und einen
ähnlich strengen Gesichtsausdruck, Holzschuher hingegen ein eher gelbliches,
galliges Inkarnat wie Markus. Dessen
Haarwuchs ist demjenigen der Vorzeichnung für Markus ähnlich, während Muffel wie
Paulus einen fast kahlen Schädel hat. Die Energie und der zornesmütige Gesichtsausdruck
kennzeichnen Holzschuher als Choleriker. Muffel hingegen ist mit dem nach innen
gekehrten Blick und den zusammengekniffenen Lippen zu den Melancholikern zu
zählen. Dem entsprichtder Gegensatz zwischen dem Schwarz-Blau-Dunkelbraun-Akkord
im Gewand Muffels zum gelbgrünen Hintergrund und dem warmen Braun von
Holzschuhers Pelz. Bei aller Ähnlichkeit
der Anlage der beiden Bildnisse ist bei genauerem Hinsehen jedes einzelne
Pelzhaar im Holzschuher-Porträt mit mehr Schwung gemalt hat als bei Muffel. Dessen
Haltung ist als kühle Dikstanziertheit zu bezeichnen, sein Blick fast abwesend,
während Holzschuher dargestellt wird, als wolle er vor Zorn ‚aus der Haut
fahren‘ und den Betrachter angreifen.
Fazit: Dürers
Spätstil ist zwar von der Reformation und dem Humanismus geprägt, aber auch von
seinen Bemühungen um die Reform der Kunst gemäß der Wissenschaft und ihrer
Methodik. Das Naturstudium am Menschen, die Erfassung seiner Maße und
Proportionen war für ihn Teil einer wissenschaftlichen Anthropometrie. Die Reformationsbewegung beförderte
seinen Gesinnungswandel zu Strenge und Einfachheit, größerer Bibeltreue und
Abstreifung alles Überflüssigen. Doch war Dürer die Neuformierung der Kunst gemäß
den Prinzipien der Wissenschaft genauso wichtig wie die Reinigung der Kirche – für
ihn gehören sie zusammen. In beiden galt es, zu den verloren geglaubten Ursprüngen
zurückzukehren.
Foto- und
Unterschriften-Liste
1. Albrecht Dürer: Federzeichnung mit
neun Darstellungen des hl. Christophorus, 1521, Berlin, Kupferstichkabinett SPK
2. Albrecht Dürer: hl. Christophorus,
Kupferstich (SMS I, 94), 1521
3. Albrecht Dürer: hl. Christophorus,
Kupferstich (SMS I, 93), 1521
4. Albrecht Dürer: Muttergottes mit
Kind, Kupferstich (SMS I, 84), 1518
5. Albrecht Dürer: Muttergottes ihr Kind
nährend (SMS I, 86), Kupferstich, 1519
6. Albrecht Dürer: Abendmahl,
Holzschnitt, 1523
7. Albrecht Dürer: Die Vier Apostel,
München, Alte Pinakothek, 1526
8. Albrecht Dürer: Studie zum Markuskopf,
Bleizinn-Griffel auf braun grundiertem Papier,Berlin, Kupferstichkabinett SPK
9. Albrecht Dürer: Studie zum Pauluskopf,
Bleizinn-Griffel auf braun grundiertem Papier, Berlin, Kupferstichkabinett SPK
10. Albrecht Dürer: Porträt des Jakob
Muffel, Berlin, Gemäldegalerie SPK, 1526
11. Albrecht Dürer: Porträt des Hieronymus
Holzschuher, Berlin, Gemäldegalerie SPK, 1526
[1] Friedrich
Roth: Die Einführung der Reformation in Nürnberg, Würzburg 1885, 58ff.- Hans v.
Schubert: Lazarus Spengler und die Reformation in Nürnberg, hg. v. Hajo
Holborn, Leipzig 1934, bes. 140-153.- Gottfried Seebass: Dürers Stellung in der
reformatorischen Bewegung, in: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500.
Geburtstag Albrecht Dürers am 21. Mai 1971 (Nürnberger Forschungen 15, 1971),
101-131.- Linda und Peter Parshall: Art and the Reformation. An
Annotated Bibliography, Boston 1986.- Die Graphiken Dürers werden unter der Sigle
SMS zitiert, d.h. nach: Rainer Schoch / Matthias Mende / Anna Scherbaum:
Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, 3 Bde., München u.a. 2001.- Die Bibel
wird zitiert nach der Vulgata, hg. von Robert Weber, Stuttgart 1975.- Für das
Verständnis des Malers und seiner Kunst ist nach wie vor maßgeblich: Erwin Panofsky:
The Life and Art of Albrecht Dürer, hier benutzt die Edition Princeton 1955; S.
198ff. zur Krise Dürers um 1519.
[2] Heinrich
Bornkamm: Kurfürst Friedrich der Weise (1463-1525), in: Archive for Reformation
History 64, 1973, 79-85, hier: 83.
[3]
Panofsky [Anm. 1], 198.
[4] Über
Dürers Klage im Tagebuch der niederländischen Reise s. Hans Rupprich (Hg.):
Dürer. Schriftlicher Nachlaß, 3 Bde., Berlin 1956-1969, hier: Bd. I , 170-172.
[5]
Der kulturkämpferisch aggressive Protestantismus des 19. Jahrhunderts hatte
Dürer ganz vereinnahmt. Ernst Heidrich: Dürer und die Reformation, Leipzig 1909
war der erste, der darauf aufmerksam machte, dass die Texte unter den Vier
Aposteln (s.u.) weder als lutherische noch als katholische Parteinahme zu
verstehen sind. Die katholische Position bei: Heinrich Lutz: Albrecht Dürer und
die Reformation, offene Fragen, in: Römische Forschungen der Bibliotheca
Hertziana 16, 1961, 175-183.- Ders.: Albrecht Dürer in der Geschichte der
Reformation, in: Historische Zeitschrift 206, 1968, 22-44.- Wolfgang Braunfels:
Die reformatorische Bewegung im Spiegel von Dürers Spätwerk, in: Herbert Schade
(Hg.): Albrecht Dürer. Kunst einer Zeitenwende, Regensburg 1971, 123-143.
[6]
Karl Arndt / Bernd Möller: Albrecht Dürer im Spannungsfeld der frühen
Reformation. Seine Darstellungen des Abendmahls Christi, Göttingen 2005.- Barbara
Welzel: Abendmahlsaltäre vor der Reformation, Berlin 1991.
[7] Thomas Schauerte: Der Kardinal: Albrecht von
Brandenburg, Renaissancefürst und Mäzen, Kat. der Ausstellung in der Stiftung
Moritzburg Halle 2006, Regensburg 2006. Lukas Cranach hat in noch höherem
Umfang katholische Auftraggeber bedient; s. Andreas Tacke: Der katholische
Cranach. Zu zwei Großaufträgen von Lucas Cranach d. Ä., Simon Franck und der
Cranach-Werkstatt (1520-1540), Mainz 1992.
[8] Grund und
Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich
verdammt sind, Wittenberg 1521, in: Otto Clemen (Hg.): Luthers Werke in
Auswahl, Bd.I (1517-1520), Berlin 51959, 62, Z. 17 und an vielen
anderen Orten.- Max Hasse: Zunft und Gewerbe in Lübeck, Kat. der Ausstellung im
St.Annen-Museum in Lübeck 1972, Nr. 10, 27.
[9] Friedrich
Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, 4 Bde., Berlin 1937-1939, hier: Bd.
IV, Nr. 800, Berlin, Kupferstichkabinett SPK.- Fedja Anzelewsky, in: Albrecht
Dürer. Kritischer Kat. der Zeichnungen, zugleich Kat. der Ausstellung im
Kupferstichkabinett Berlin 1984, Nr. 100.- Till-Holger Borchers: Van Eyck bis Dürer.
Altniederländische Meister und die Malerei in Mitteleuropa 1430-1530, Kat. der
Ausstellung im Groeninghemuseum Brügge, S. 432 (Juliane v. Firks).- Die beiden
Christophorus-Stiche bei: F. W. H. Hollstein: German Engravings, Etchings and
Woocuts, ca. 1400-1700, Bd. VII, Albrecht and Hans Dürer, bearb. von K. G. Boon
/ R. W. Scheller, Amsterdam 1962, Nr. 52, 53.- SMS I[Anm.1], Nr.93 und 94.-
Christophorus ist inzwischen aus dem offiziellen Heiligenkalender der
Katholischen Kirche gestrichen.- Werner Welzig (Hg.): Erasmus v. Rotterdam:
Ausgewählte Schriften, 8 Bde., Darmstadt 1975, Bd. II, 1-211, hier: 59 u. 93.
[10] Auch
in einem anderen Punkt wurde man enttäuscht: Man meinte, im Text des Erasmus
über den Miles christianus die
literarische Vorlage für Dürers Meisterstich Ritter, Tod und Teufel gefunden zu haben, bis sich Widerspruch
erhob: Sten Karling: Ritter, Tod und Teufel. Ein Beitrag zur Deutung von Dürers
Stich, in: Actes du 22e Congrès International de l’Histoire de l’Art, Budapest
1972, 733.-
Ursula Meyer: Politische Bezüge in Dürers „Ritter, Tod und Teufel“, in: Kritische
Berichte 6, 1978/6, 27-41.- Pierre Vaisse /
Jean Wirth: Dürer et la Réforme, in: De la puissance de l’image: Les artistes
du Nord face à la Réforme, Paris 2002, 57-100, bes. 65-70. Die
Verteidigungsrede von Matthias Mende in: SMS [Anm.1] I, Nr. 63 überzeugt nicht:
Das Bild zeigt keineswegs den christlichen, edelmütigen, idealen Ritter
des Erasmus, sondern einen brutalen, verwegenen Kerl, kurz: doch eher den
Schrecken aller damaligen Kaufleute und Reisenden, den Raubritter. Vgl.
Matthias Mende, in: Albrecht Dürer, Kat. der Ausstellung in der Albertina Wien
2003, Nr. 137-139.
[11] Die Lehre
von menschlicher Proportion, Nürnberg 1528 (Rupprich [Anm.4] III, 17-306); Die
Unterweisung der Messung (Rupprich III, 307-368).
[12] SMS [Anm. 1] I,
Nr. 93 und 94.- Hollstein [Anm. 9], Nr. 52 und 53.- Winkler[Anm.
9]
IV, Nr. 801 und 802: Die Zeichnung in Besançon ist eine Nachzeichnung nach dem
Stich SMS Nr. 93.
[13]
Im Tagebuch der niederländischen Reise, s. Rupprich [Anm. 4] I, 172.- Joseph
Heller: Das Leben und die Werke Albrecht Dürer’s. Des zweyten Bandes zweyte
Abteilung. Dürer’s Bildnissse, Kupferstiche, Holzschnitte und die nach ihm
gefertigten Blätter, Bamberg 1827, 709-721 weist von jedem der beiden
Stiche jeweils sechs graphische Kopien nach.
[14] In der
zum Campin-Kreis gehörenden Verkündigung im Musée-des-Beaux-Arts in Brüssel ist
– bezeichnend für die damalige Frömmigkeitspraxis – ein kolorierter Holzschnitt
mit Siegellack an die Kaminabdeckung geklebt; s. Stephan Kemperdick / Jochen
Sander: Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden, Kat. der
Ausstellung in der Gemäldegalerie Berlin und im Städel, Frankfurt/M. 2008,
188ff.
[15] Dürer
dürfte von dem in seiner Werkstatt 1511 geschaffenen Holzschnitt desselben
Themas noch Abzüge auf Lager gehabt haben; SMS II [Anm.1], Nr. 133 u. 228.
[16] Christofer Conrad: Giovanni Domenico Tiepolo: Die Flucht nach
Ägypten, Kat. der Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart, Graphische
Sammlung 1999.- Felix Reuße: Giandomenico Tiepolo. Die Flucht nach Ägypten. Radierungen, Kat.
der Ausstellung im Augustinermuseum Freiburg /Brg. 2007.
[17] Heinrich
Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, München 21973, §§
260-442. Das Mittelalter hatte einen Großteil seiner Kunstanschauungen
der Rhetorik entnommen und diese Lehren zur leichteren Vermittlung
systematisiert und in den sog. Briefstellern für die Kanzleipraxis
zurechtgemacht.
[18] Geoffroy
de Vinsauf s. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches
Mittelalter, Bern 1948, hier 71969, Register S. 575. Über die Rhetorik-Rezeption
in der Malerei des 15. Jahrhunderts s. Robert Suckale: Rogier van der Weydens
Bild der Kreuzabnahme und sein Verhältnis zu Rhetorik und Theologie. Zugleich
ein Beitrag zur Erneuerung der Stilkritik, in: Reinhard Brandt (Hg.):
Meisterwerke der Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol, Leipzig
2001, 10-44 (Reclam Bibliothek Leipzig, Bd. 20013) [wiederabgedruckt in: Robert
Suckale: Stil und Funktion. Ausgewählte Schriften zur Kunst des Mittelalters,
hg. von Peter Schmidt und Gregor Wedekind, München und Berlin 2003, 409-431].
[19] Desyderii
Erasmi Roterodami de duplici copia, verborum et rerum commentarii duo, Basel
1514; Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia, 10 Bde., Leiden 1703,
Reprint Hildesheim 1961, hier: Bd. I, 3-110.
[20] Rupprich
[Anm.4] II, 109.
[21] Richard
Benz (Hg.): Die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine, Heidelberg 91979,
498-502; Friederike Werner: Christophorus, in: Lexikon der Christlichen
Ikonographie Bd. V, 496-508.
[22] Winkler
[Anm. 9] I, 58.
[23]Anselm
Salzer: Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und
lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters. Mit Berücksichtigung der
patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie, Reprint Darmstadt
1967.- Ernst Heidrich: Geschichte des Dürerschen Marienbildes, Leipzig 1906.-
Klaus Schreiner: Maria, Jungfrau, Mutter, Herrscherin, München 1994 und die
zahlreichen anderen Studien dieses Gelehrten zu Maria und Marienfrömmigkeit.-
SMS I [Anm. 1] I, Nr. 62, 63, 67, 72 und 73 (Matthias
Mende).- Robert Suckale: Maria. Jungfrau – Mutter – Königin. Schöne
Madonnen am Rhein, Kat. der Ausstellung in Bonn, Rheinisches Landesmuseum 2009,
24-37.
[24] Robert
Suckale: Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer, 2 Bde., Petersberg
2009,288-289; Winkler [Anm. 9] I, Nr.4.
[25] Winkler
[Anm. 9] I, Nr. 296-297.- Fedja Anzelewsky: Albrecht Dürer: Das malerische
Werk, 2 Bde., Berlin.21991, Nr. 93.
[26] Die Zahl
8 wurde von Dürer selbst verändert; offenbar war der Stich unfertig liegen
geblieben.
[27] Winkler
[Anm. 9] IV, Nr. 836-857. Der Holzschnitt der thronenden Muttergottes
mit den Engeln, die wohl als Darstellung der Neun Engelschöre gemeint sind,
fällt durch die Größe und Thematik sowie die geometrisierende, an Dürers
Proportionsstudien orientierte Gestaltung aus der Reihe seiner Marienbilder
heraus.
[28] Die Reise
dauerte vom 12.7.1520-17.7.1521.- Rupprich [Anm. 4] I, 154, Zeile 233
und 251.-Nach Rupprich I, 181, Anm. 127 verbergen sich die drei Marienstiche
oft auch unter der Formulierung „4 neue stücklein“, wobei oft noch der Stich
mit dem Antonius bzw. das Bauernpaar hinzugezählt werden (SMS I, 87 und 88).
Manchmal werden auch nur ein oder zwei Stiche erwähnt, so Rupprich, I, 156, Z.
22 und 26f.; S. 157, Z. 32; S. 158, Z.148.
[29] Über
Weltlandschaft s. Suckale [Anm. 24], 361-376.
[30] Robert
Suckale: Die Glatzer Madonnentafel des Prager Erzbischofs Ernst von Pardubitz
als gemalter Marienhymnus. Zur Frühzeit der böhmischen Tafelmalerei, mit einem
Beitrag zur Einordnung der Kaufmannschen Kreuzigung, in: Wiener Jahrbuch für
Kunstwissenschaft 46/47, 1993/1994 (Festschrift für Gerhard Schmidt), 737-756
und 889-892; Reprint in: Suckale [Anm. 18], 119-150.
[31] Robert
Suckale: Die Sternberger Schöne Madonna, in: Anton Legner: Die Parler und der
Schöne Stil 1350‑1400, Europäische Kunst unter den Luxemburgern, Kat. der
Ausstellung in Köln 1981, Bd.V: Resultatband 117‑122; Reprint in: Suckale [Anm.
18], 87-101.
[32] Es gibt
Ausnahmen, wie z.B. die Madonnen Giovanni Pisanos; auch wird die
Doppeldeutigkeit des Halbprofils im Lauf der Zeit durchaus unterschiedlich
gehandhabt, von Künstlern wie Rogier van der Weyden äußerst subtil.
[33] Man kann
allenfalls die Haube, die von der Maria der Epiphanie in Rogiers
Columba-Retabel in der Münchner Alten Pinakothek herzuleiten ist, als
traditionelles Marienmotiv bezeichnen.
[34] Erwin Panofsky: Erasmus and the Visual Arts, in:
Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 32, 1969, 200-227.
[35] Erasmus
von Rotterdam: Ratio seu compendium verae theologiae per Des. Erasmus
Roterodamum (Theologische Methodenlehre oder Kurzer Weg zur wahren
Gottesgelehrsamkeit), in: Werner Welzig (Hg.): Erasmus von Rotterdam,
Ausgewählte Schriften, lat.-dt., 8 Bde., Darmstadt 1967, hier: Bd. III, 11-495
bes.,
416f.- Über des Erasmus Streben nach einfacher Wahrheit s. Wilhelm Dilthey:
Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation,
Gesammelte Schriften lI, Stuttgart u.a. 1957, 44.- Christoph Schubert u.a.
(Hg.): Ad veram religionem reformare: Frühchristliche Apologetik zwischen
Anspruch und Wirklichkeit, Erlangen 2006 (Erlanger Forschungen, Reihe A:
Geisteswissenschaften 109).- Über den Verfall der Exegese bei den
Spätscholastikern s. Henri de Lubac: Exégèse médiévale, 4 Bde., Paris 1963,
hier: II/2, 378-385.
[36] Die
Gleichung: alt = schlicht = fromm findet sich u,a, auch mehrfach in Aventins
Chronika.
[37]
Allerdings finden sich Neigungen in diese Richtung schon zuvor bei Dürer. Bezeichnenderweise
kehren ganz ähnliche Forderungen in späteren Revolutionszeiten wieder; s.
Nicolas Chamfort: Maximen und Gedanken, in: Fritz Schalk (Hg.): Die
französischen Moralisten, München 1973 (dtv text-bibliothek 6026), I, 275f.: „…
unsere Zeit [hat] die Wörter wieder in ihre Schranken gewiesen… Die
scholastischen, dialektischen, metaphysischen Spitzfindigkeiten hat man
verworfen und ist … wieder zur Einfachheit und Wahrheit zurückgekehrt.“
[38]
Rupprich [Anm. 4] I, 115.
[39]
Matthias Mende: Der alte Dürer, in: SMS [Anm. 4] I, 101-113,hier: 113.
[40] Martin
Luther: Ein Sermon von dem Neuen
Testament, d.i. von der Heiligen Messe, in: Clemen [Anm. 8], I, 301.
[41] SMS [Anm.
1] II, Nr. 259 (Rainer Schoch). Über die Szenenfolge bzw. Motivauswahl s.
Welzel [Anm. 6], 32-39.
[42] Das
Besondere dieses Schrittes wurde zuerst von Erwin Panofsky [Anm. 1], 21955,
221-223 betont. S.a. David Price: Albrecht Dürer’s Last Supper (1523)
and the September Testament, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 59, 1996,
578-584.
[43] Wirth /
Vaisse [Anm. 10], 76.
[44] Zur
Leonardo-Rezeption s. Emil Moeller: Das Abendmahl des Lionardo da Vinci,
Baden-Baden 1952.- Pinin Brambilla
Barcilon / Pietro C. Marani: Leonardo: L'Ultima Cena, Mailand 1999.
[45]
Gottfried Krödel: Nürnberger Humanisten am Anfang des Abendmahlsstreites. Eine
Untersuchung zum Verhältnis Pirckheimers und Dürers zu Erasmus von Rotterdam,
besonders in den Jahren 1524-1526, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte
25, 1956, 40-50.- Rainer Schoch, in: SMS [Anm.1] I, 488.
[46] Price [Anm. 42], 580f.
[47] Winkler [Anm. 9] IV, Nr. 889.
[48]
Martin Schawe hat das ältere Schrifttum gründlich diskutiert: Die Vier Apostel,
1526, in: Gisela Goldberg u.a. (Hg.): Albrecht Dürer: Die Gemälde der Alten
Pinakothek, Heidelberg o.J. (1998), 478-559.-
Jan Białostocki: Dürer and his Critics, Baden-Baden 1986, 289-307 (saecvla
spiritalia 7).- Matthias Mende, in: SMS [Anm. 1] I, 189-193.
[49] Erwin
Panofsky: Zwei Dürer-Probleme, in Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst NF 8,
1931, 18-48.
[50] Robert
Suckale: Rogier van der Weyden und die Kunst Italiens, in: Städel-Jahrbuch 18,
2002, 37-58, Reprint in: Suckale [Anm. 18], 501-530; Suckale [Anm. 24], I,
76-80.- Das Sebastians-Diptychon hat die Inv.-Nr. 1689. Die Anordnung von je
zwei Figuren in flügelartigen Seitentafeln greift bekanntlich ein Motiv der
Pala von Giovanni Bellini aus dem Jahre 1489 in S. Maria dei Frari in Venedig
auf. Allgemein s. Karl-August Wirth. Diptychon; in: Reallexikon zur deutschen
Kunstgeschichte IV, Sp. 61-74, hier Sp. 67.- John O. Hand (Hg.): Unfolding the Netherlandish
Diptych, Cambridge 2006.- Anmut und Andacht. Das Diptychon im Zeitalter von Jan van
Eyck, Hans Memling und Rogier van der Weyden, Stuttgart 2007.
[51] Suckale
[Anm. 24] I, 102.
[52] Rupprich
[Anm. 4] III, 270: “Dan ein jtlicher
werckman sol künen machen ein adellich oder pewrisch bild. Dan es ist ein
grosse kunst, welcher jn groben pewrischen dingen ein rechten gewalt und kunst
kann an tzeigen jm geprawch.“ Vgl. auch S. 277, Z. 93-98 und S. 281, Z.
21-24.
[53] Hans
Rupprich: Die kunsttheoretischen Schriften L.B. Albertis und ihre Nachwirkung
bei Dürer, in: Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte 18/19, 1960/1961,
219-239.
[54] Philipp
Melanchthon: Elementa rhetorices, Wittenberg 1531, zitiert nach Rupprich [Anm.
4] I, 306: „Durerus enim pingebat omnia
grandiora […] Lucae [Cranach] picturae graciles sunt […] Matthias [Grünewald]
quasi mediocritatem servabat.- Donald B. Kuspit: Melanchthon and
Dürer. The Search for the
Simple Style, in: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 3, 1973,
177-202.
[55] Suckale
[Anm. 24], 430-433.- Unbefriedigend sind die Ausführungen von Wolfgang Schmid:
Warum schenkte Albrecht Dürer dem Nürnberger Rat die ‚Vier Apostel‘? In:
Pictura quasi fictura. Die Rolle des Bildes in der Erforschung von Alltag und
Sachkultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Internationales
Round-Table-Gespräch Krems/Donau 3.10.1994, Österreichische Akademie der
Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Forschungen des Instituts für
Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 1, Wien 1996, 129-174.
[56] Brief
Melanchthons an Herzog Georg v. Anhalt vom 17.12.1547; Rupprich [Anm. 4],
I, 289.- Heinrich Wölfflin: Die Kunst Albrecht Dürers, hg. von Kurt
Gerstenberg, München 1963, 324.
[57] Price
[Anm. 42].
[58] Dieter Wuttke: Humanismus in Nürnberg um 1500, in:
Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 48, 1985, 677-688, hier: 679.-
Dürer hat auch in diesen Tafeln das gewohnte Halbprofil aufgegeben, analog den Marienstichen:
Kein Kopf wird auf gleiche Weise gegeben, keiner folgt nur der Konvention.
[59] Adolf Max
Vogt: Albrecht Dürer. Die Vier Apostel, in: Martin Gosebruch (Hg.): Festschrift
für Kurt Badt zum 70. Geburtstage, Berlin 1961, 121-134.
[60] Winkler
[Anm. 9], IV, Nr. 870 und 872, Kupferstichkabinett Berlin, beide 1526 datiert;
Anzelewsky [Anm. 9], Nr. 117 und 118. Ich teile weder seine Meinung, dass diese
Kopfstudien keine Naturstudien seien, noch die, dass der Markus im Gemälde „einen etwas bäuerlich derben und dumpfen
Charakter erhalten habe.“
[61]
Für Johannes mag in der Tat der Kopf Philipp Melanchthons Ausgangspunkt gewesen
sein (s. den Porträtstich SMS [Anm. 1], I, Nr. 101.). Doch hat auch die
Tatsache, dass der Adler das Symboltier des Johannes ist, bei der Prägung des
Gesichtes eine Rolle gespielt. Die Identifizierung der Apostel mit Nürnberger
Protagonisten der Reformation durch Gerhard Pfeiffer: Die Vorbilder zu Dürers
„Vier Aposteln“, Nürnberg 1959/1960 überzeugt nicht.
[62] Rupprich
[Anm.
4], III, 239.- Robert Suckale: Haben die physiognomischen Theorien für
das Schaffen von Dürer und Baldung eine Bedeutung?, in: Friedrich Piel
u.a.(Hg.): Festschrift Wolfgang Braunfels, Tübingen 1977, 357‑369, hier: S.
369, Anm. 57.- Ernst Rebel: Albrecht Dürer: Maler und Humanist, München 1996,
433-438.-Matthias Mende korrigiert im Kat. Wien 2003 [Anm. 10], 532 unter
Verweis auf ältere oberitalienische Gemälde die Behauptung Rebels, S. 435, der
Typus des löwenhaften Markus sei eine Neuerfindung Dürers.
[63]
Wölfflin [Anm.
56], 285f. unhaltbare Aussagen zum Holzschuher-Porträt; Tobias Leuker:
Dürer als ikonographischer Neuerer, Freiburg/Brg. 2001, 77ff., die Vier Apostel
94ff.
[64] G. W. K.
Lochner (Hg.): Des Johann Neudörfer Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg
Nachrichten von Künstlern und Werkleuten …, Wien 1875, 134 (Quellenschriften
für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 10).
Als erster hat Panofsky [Anm. 49] die Wichtigkeit der Temperamentenlehre bei
Dürer erkannt. Zu anderen frühen Zeugnissen für eine Deutung der Heiligen als –Exempel
der vier Temperamente s. Schawe [Anm.48], 521ff.
[65] Raymond
Klibansky /Erwin Panofsky / Fritz Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zur
Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, Reprint Frankfurt/M. 1990; s.a.
Panofsky, Anm. 49.
[66]
Rupprich [Anm. 4] II, 117; s.a. sein Kommentar S. 98-99. Dürer nennt als Quelle
seines Wissens die Fisycy, d.h. die
griechischen Ärzte, womit am ehesten Galen gemeint sein dürfte.- Richardus
Foerster: Scriptores physiognomonici graeci et latini, 2 Bde., Leipzig
1893/1894.
[67] Hierbei
spielen auch die vier Elemente: Erde, Wasser, Feuer und Luft eine Rolle, ebenso
die vier Qualitäten: trocken, feucht, warm und kalt usw.
[68]
Anzelewsky [Anm. 25], Nr. 178 u. 179.