14.11.10

Vorwort zum Buch von Rudolf Berliner: The 'Freedom of Medieval Art' und andere Studien zum christlichen Bild, Berlin (Lukas-Verlag), 2003

            Die hier wieder abgedruckten vierzehn Texte des Kunsthistorikers Rudolf Berliner (14.4.1886-6.8.1967) aus den Jahren 1928-1967 haben trotz der Vielfalt der behandelten Gegenstände ein gemeinsames Thema, die Rolle und Eigenart des Bildes im Christentum. Den inneren Zusammenhang dieser Studien hat ihr Autor immer wieder betont.[1] Sein wissenschaftliches Bemühen kreiste um zwei Schwerpunkte, die Krippenkunst und die Bilder der Passion Christi, insbesondere die Arma Christi; deshalb wird dieser Aufsatz (Nr. IX) trotz seiner Länge und leichten Zugänglichkeit hier erneut abgedruckt. Hingegen wurden Arbeiten zu anderen Themen nicht aufgenommen, auch wenn sie noch so bedeutend sind.[2] Denn dies hätte die inhaltliche Geschlossenheit gesprengt.
            Rudolf Berliner wird von den einschlägigen Spezialisten, etwa den Erforschern der barocken Elfenbeinskulptur oder der Krippenkunst, hoch geschätzt.[3] Die "Ornamentalen Vorlage-Blätter des 15.-18. Jahrhunderts" sind heute noch das Handbuch auf diesem Gebiet. Auch wurden und werden immer wieder einzelne seiner Studien zitiert. Doch hat dieser Gelehrte nie das Ansehen erlangt, die seinem wissenschaftlichem Rang entsprächen. Sein Oeuvre schien disparat zu sein und wenig zeitgeistgemäß. Vor allem sein neuer Ansatz zum Verständnis des christlichen Bildes wurde kaum wahrgenommen, obwohl er u.a. alle älteren Definitionen 'des' Andachtsbildes hinfällig gemacht hat. Sein persönliches Manifest für den Neubeginn 1945, "The Freedom of Medieval Art", fand keinen Widerhall. Denn anders als die Erfolgsautoren seiner Generation, wie Hans Jantzen (1881-1967), wollte er gerade nicht 'das' Mittelalter 'auf den Begriff' bringen.[4] Er rühmte an ihm nicht 'Einheit' und 'Geschlossenheit', sondern Vielfalt und Fülle, ja Individualität und Freiheit. Er ließ sich nie zu ideologischen Konstruktionen, wie z.B. Jantzens 'Stilentelechie' hinreißen. Auch bot er weder ein griffiges dreistufiges Interpretationsmodell wie Erwin Panofsky (1892-1968), noch dessen ontologisierende Verallgemeinerungen, wie z.B. die Begriffsreihe 'Repräsentationsbild - Andachtsbild - Historienbild'.[5]
            Vor gut einem viertel Jahrhundert war ich auf Berliners Arbeiten zum christlichen Bild aufmerksam geworden und hatte aus ihrem Studium viel gelernt.[6] Seitdem war es mein Wunsch, diese verstreuten Texte zusammenzufassen, vor allem um sie den Studierenden nahezubringen. Ich begann Material über ihn zu sammeln und fand dabei viel Unterstützung, so durch seinen Sohn Christopher Bever und durch Theodor Müller. Doch schien es mir unangemessen, mich als Herausgeber aufzuspielen. Verschiedenen Anläufen, anderen das Projekt 'schmackhaft' zu machen, war jedoch kein Erfolg beschieden. Mit der Zeit wurde mir klar, dass der Sammelband nur entstehen würde, wenn ich ihn selbst besorgte. Diese späte Einsicht erschwert bedauerlicherweise die Realisierung. Nun ist es nicht mehr möglich, Theodor Müller zu fragen, wo der Koffer mit den Papieren Berliners verblieben sein könnte, den er 1967 dessen Söhnen Michael und Christopher Bever im Bayerischen Nationalmuseum gezeigt haben soll. Im Museum und andernorts war er nicht aufzuspüren.[7] Deshalb ist die von Berliner erwähnte deutsche Fassung des Aufsatzes "The Freedom of Medieval Art" aus dem Jahr 1937 ebenso wenig greifbar wie die ursprüngliche, längere Version der Arbeit über die "Arma Christi". Da man im Dritten Reich die Personalakten der entlassenen jüdischen Gelehrten vernichtet und systematisch ihre 'memoria' ausgelöscht hat, ist es schwer, Archivmaterial über ihn zu finden. Fast alle seine Freunde und Bekannten sind inzwischen verstorben oder nicht mehr ansprechbar.
            Umso wertvoller waren für mich die Gespräche mit dem ehemaligen Direktor des Bayerischen Nationalmuseums, Lenz Kriss-Rettenbeck in Berchtesgaden, der eigentlichen Heimat Berliners und letzten Ruhestätte für sich und seine Frau. Als Vertrauter Berliners nach 1945 half er mir, die Bedeutung des dortigen Freundeskreises um Marie Andree-Eysn, die Begründerin der religiösen Volkskunde, für die Genese der Ideen Berliners zu verstehen und seine Leistungen als Museumsmann zu erahnen. Dafür seien ihm und seiner Frau der herzlichste Dank ausgesprochen.
            Danken möchte ich ebenso dem Ernst-von-Siemens-Kulturfonds, München und seinem Leiter, Herrn Dr. Heribald Närger, für die Bezuschussung der Drucklegung; Willibald Sauerländer für seine Unterstützung des Vorhabens; Frank Böttcher vom Lukas-Verlag für die Bereitschaft, die Publikation in sein Verlagsprogramm aufzunehmen; den Herausgebern der 'Gazette des Beaux-Arts', des 'Münchner Jahrbuchs der bildenden Kunst' und des 'Münsters' für die Abdruckerlaubnis und Bernhard Schemmel von der Staatsbibliothek Bamberg für seine Hilfe bei der Beschaffung der Druckvorlagen. Mein Dank gilt außerdem meiner Frau, Gerhard Schmidt, Jeffrey Hamburger, Lorenz Seelig und anderen Helferinnen und Helfern, sowie dem Siemens-Firmenarchiv, dem Bundesarchiv sowie den anderen Institutionen, die mir bei meinen Forschungen geholfen haben.
            Nach reiflicher Überlegung wurde beschlossen, die Aufsätze nicht nur zu scannen, sondern neu zu setzen. Dadurch wurde ihre Erscheinung vereinheitlicht und der Flickerl-Teppich der alten Seiten-Layouts vermieden. Vor allem konnten nun die Endnoten in Fußnoten umgewandelt und den Benutzern besser erschlossen werden; dem dient auch das Register. Doch wurde vermieden, die Texte zu ergänzen, abgesehen von einigen Hinweisen in den Anmerkungen der Einleitung. Nur Druckfehler, vertauschte Bildlegenden und dergleichen wurden - so weit möglich – korrigiert sowie einige wenige, allzu schwer verständliche Abkürzungen aufgelöst. Denn das Hauptziel dieser Publikation ist nicht die erneute Darbietung der Fakten; dann wäre auch die Darstellung der späteren Forschungsergebnisse zu fordern gewesen. Hauptziel ist vielmehr, das Anregende und Fruchtbare von Berliners Denkansatz heutigen Lesern näher zu bringen. Das mag jetzt so wenig dem Zeitgeist entsprechen wie zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung. Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sich die Erkenntnis seiner Vorbildlichkeit allmählich durchsetzen und im Bewusstsein verankern wird.




[1] Die Aufsätze Berliners sind in chronologischer Folge mit römischen Zahlen durchnumeriert und werden so zitiert; in Klammern, also: "(hier S. ##)" der Hinweis auf den Fundort eines Zitats in diesem Band. Berliners Aussagen auf die Zusammengehörigkeit der Studien finden sich in: V, S. 288 (hier S. ##) und IX, S. 116 (hier S. ##); X, S. 116f. (hier S. ##); XI, S. 177 (hier S. ##) u.a. Das Buch über die Weihnachtskrippe (Nr. 70 der Bibliographie) wird zitiert als: WK, das über die Ornamentalen Vorlage-Blätter (Nr. 30) als: OV. Die Textzitate Berliners sind kursiv hervorgehoben. Die alte Orthographie wurde beibehalten.
[2] Dies gilt etwa für die Nr. 39 zur Museumslehre, die eigentlich den Platz des immer wieder zitierten Buches von Julius v. Schlosser über die Kunst- und Wunderkammern einnehmen müsste, aber kaum je beachtet wird.
[3] Lenz Kriss-Rettenbeck: Anmerkungen zur neueren Krippenliteratur, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 1966/1967, S. 7-36. Ich danke Christian Theuerkauff für die Mitteilung seiner Einschätzung von Berliners Studien zur barocken Elfenbeinschnitzerei.
[4]  Hans Jantzen: Ottonische Kunst, München 1947, Hamburg 21959, Reprint, hg. von Wolfgang Schenkluhn, Berlin 1990. Das Buch ist in seinen Grundanschauungen nationalsozialistisch, wie man leicht an der frühesten Fassung: Ottonische Kunst, in: Festschrift Heinrich Wölfflin zum siebzigsten Geburtstage, Dresden 1935, S.96-110 feststellen kann. Jantzen verrät sich vollends in seinem Propaganda-Pamphlet "Geist und Schicksal deutscher Kunst", Köln 1935, insbesondere S. 54f.: "Die Zeitwende, in der wir stehen, läßt das Schicksal der deutschen Kunst ... des 19. ... und zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine geschichtlich bedingte letzte Folge der individualistischen Epoche erkennen. Durch die mit der Gründung des Dritten Reiches ermöglichte straffe Formung des gesamten Volkes im Geiste eines neuen schöpferischen Ganzheitsgedankens ist auch für die deutsche Kunst wieder ein tragender Grund geschaffen ... im Geiste des Hitlerwortes: 'Die Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission." Jantzen war zwar kein PG, doch war er einer derjenigen Konservativen, die dem NS-Regime den Anschein bürgerlicher Wohlanständigkeit verliehen. Es war für ihn ein Glück, dass die 1. Auflage der 'Ottonischen Kunst' im Verlagshaus Bruckmann in München 1943 zerbombt wurde. Umso bestürzender ist das die ideologischen Implikationen seiner 'ganzheitlichen', vergewaltigenden Begrifflichkeit nicht erkennende, sie fatalerweise noch rühmende Nachwort von Ulrich Kuder: "Jantzens kunstgeschichtliche Begriffe", in: Hans Jantzen: Über den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 2000, S. 173-187.
[5] Hans Jantzen: Die Gotik des Abendlandes. Idee und Wandel. Mit einem Nachwort von Willibald Sauerländer, Köln 1997.- Erwin Panofsky: Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, in: Logos 21, 1932, S. 103-119, wieder abgedruckt in: Hariolf Oberer und Egon Verheyen (Hg.): Erwin Panofsky: Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, Berlin 1964, S. 85-97; die englische Fassung zuerst in: Studies in Iconology: Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, New York 1939 (Mary Flexner Lectures on the Humanities 1937) und mehrfach anderenorts (s. die Bibliographie bei Oberer/Verheyen, S. 16ff.).- Zur Begriffsreihe der Bild-Funktionstypen s. Erwin Panofsky: "Imago pietatis". Ein Beitrag zur Typengeschichte des 'Schmerzensmannes' und der 'Maria Mediatrix', in: Festschrift für Max J. Friedländer zum 60. Geburtstage, Leipzig 1927, S. 261-308. Es hat den Autor offensichtlich nicht gestört, dass funktionale und inhaltliche Begriffe vermengt sind; s. die Kritik in meinem Aufsatz (wie Anm. 6), S. 197f.
[6] Arma Christi, Überlegungen zur Zeichenhaftigkeit mittelalterlicher Andachtsbilder, in: Städel‑Jahrbuch 6, 1977, S. 177‑208, hier bes. S. 198ff.
[7] Durch die Hilfe Jeffrey Hamburgers gelang es, zwei Enkel Rudolf Berliners, Christopher Bever jr. und Edward Bever, aufzufinden, die mich bei meinen Recherchen freundlicherweise unterstützt haben.

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